Frau Dr. Appel, mit welchen Kooperationspartnern* arbeiten Sie zusammen und welche fehlen Ihnen in der Versorgung? (* Die Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.)
Dr. Claudia Appel: Die meisten Kooperationspartner, mit denen ich zusammenarbeite, mich abstimme oder von denen ich weiß, dass sie in ihrer Profession mit am Patienten tätig sind, sind niedergelassene Psychiater, psychosoziale Gemeindezentren wie das „Boot“, der Gutshof Stötteritz, „Blickwechsel“. Dann natürlich die Mitarbeiter des Verbundes der Gemeindepsychiatrie in Leipzig. Dieser Verbund ist schon sehr besonders für Leipzig. Dann natürlich die anderen psychotherapeutischen Kollegen in Leipzig, mit denen ich über Interventionen und Qualitätszirkel kommuniziere und mich über die Versorgung von Patienten abstimme. Wir erfragen dabei auch unsere jeweiligen Kapazitäten oder überlegen, zu wessen Behandlungsprofil eine Problemstellung am besten passt. Darüber hinaus gibt es noch viel mehr in Leipzig. Ich würde noch das Psychosoziale Zentrum für Geflüchtete erwähnen. Wir sind in Leipzig gut aufgestellt und finden eine komfortable Situation vor. Das sieht im Ländlichen sicher ganz anders aus.
Es fehlt aus meiner Sicht nicht an Kooperationspartnern. Es sind alle Vertreter der Fach- und Berufsgruppen vorhanden. Es könnte aber z.B. mehr Sozialbetreuung, mehr Soziotherapeuten geben. Was manchmal, gerade bei schwer Erkrankten fehlt, ist eine koordinierende Person, die im Hintergrund mit dem Patienten mitläuft und darauf schaut, was machst du gerade für eine Behandlung? Bist du beim Psychiater, in der Psychotherapie, beim Ergotherapeuten? Da fehlt ein Fallmanager. Dies könnten die beteiligten Professionen durchaus leisten, wenn auch die Abrechenbarkeit dafür gegeben wäre.
Warum wäre eine bessere Kommunikation der Akteure, ein Fallmanager gerade für den Patienten so wichtig?
Psychotherapie ist nicht alles. Idealerweise hat Psychotherapie eine Nachsorge nach deren Ende. Es bräuchte jemanden, der im Blick hat, was danach passiert. Jemand, der nachhakt, bis ein Patient z.B. in einer Selbsthilfegruppe angedockt hat oder in der Ergotherapie gelandet ist. Jemand, der Motivationsarbeit leistet und darauf achtet, dass es für den Patienten weitergeht.
Dann sind wir Psychotherapeuten und auch Psychiater nicht rund um die Uhr für den Patienten verfügbar. Je mehr Helfer am Patienten dran sind, desto mehr haben wir die Möglichkeit, den Betroffenen umfassend zu versorgen. Damit meine ich die schnelle Hilfe im Notfall. Psychotherapie ist im Grunde keine Akuthilfe. Wenn ich es leisten kann, bin ich da, keine Frage. Wenn ich nicht kann, weil z.B. die Therapie beendet ist oder der Antrag nach der Probatorik gerade geprüft wird, dann wäre es gut zu wissen, dass es andere Hilfe und andere Helfer gibt, mit denen der Patient in Kontakt steht.
Ich kann mir auch vorstellen, dass es in einigen Fällen sehr hilfreich wäre, einen Vermittler parallel zur Psychotherapie zu haben. Durch das neue Gesetz gewinnt der Punkt der Termintreue Gewicht. So ein Vermittler ist jemand, der mithilft, die Motivation aufrecht zu erhalten. Psychotherapie ist auf lange Sicht keine einfache Sache. Diese Person könnte darauf hinarbeiten, dass der Patient am Ball bleibt, aktiv mitarbeitet.
Dann sehe ich noch den Punkt, dass manche Patienten nicht von Psychotherapie profitieren. Auch, dass Psychotherapie gerade nicht in die aktuelle Lebenssituation passt. Manche Menschen wollen reden, manche Menschen wollen lediglich Kontakt, d.h. sie möchten eine Art Freund, Kumpel. In Fallbesprechungen können wir abstimmen, wie dann Versorgung aussehen kann. Ich als Therapeutin gebe z.B. keine Ratschläge oder Tipps fürs Leben. Meine Rolle als Therapeutin ist eine völlig andere.
Welche Rolle haben Sie bereits heute in der Komplexversorgung von schwer psychisch erkrankten Menschen?
Ich versorge bereits komplex erkrankte Menschen psychotherapeutisch. Natürlich bisher nicht nach Richtlinienbedingungen. Die gibt es ja erst kürzlich. Aber vieles von deren Bestandteilen existiert längst. Es eröffnet sich mit diesem Gesetz jetzt die Chance, dass manches sichtbar und abrechenbar gemacht wird. Ich bin nicht der Meinung, dass es etwas komplett Neues ist. Wir sollten vorhandene Strukturen nutzen, statt neue zu schaffen. Jeder Therapeut kennt über seine Berufserfahrung bestimmte Psychiater, Hausärzte, andere Kollegen, mit denen es gute Zusammenarbeit gibt. Die allererste Frage, die sich mir mit diesem Gesetz stellt, ist, wer ist eigentlich psychisch schwer krank? Die Chance ist, dass das nicht nur an Diagnosen festgemacht wird. Diagnosen sind da nur bedingt aussagekräftig, weil sie aus bestimmten Gründen gegeben oder auch nicht gegeben werden. Sie bilden keine Schwere einer Erkrankung und keinen Funktionsstatus ab. Auch die subjektive Befindlichkeit, der Leidensdruck der Patienten sollte da mithineinspielen. Dann denke ich, kommt man der Frage, was einen wirklich schwer psychisch kranken Menschen ausmacht, erst nahe.
Für mich als Therapeutin bedeutet diese Patientengruppe auch, dass sie mehr Themen mitbringt. Das ist arbeitsintensiver. Ich muss telefonieren, erklären, in Fallbesprechungen gehen. Das ist mehr Zeit und auch Kraft, die ich investieren muss. Das sollte sich unbedingt monetär für uns Psychotherapeuten abbilden.
Ich persönlich möchte als Therapeutin nicht nur noch die schwer belasteten Patienten behandeln. Ich brauche für meine eigene Selbstfürsorge eine gute Mischung.