Den Einstieg in die Thematik lieferte ein Experteninterview mit Herrn Dr. Timo Slotta und Frau Dr. Christina Schütteler, Autor und Autorin des Buches „Diskriminierungssensible Psychotherapie und Beratung“. Dabei ging es u. a. darum, wie Diskriminierung entsteht, wie innerhalb der Therapie damit umgegangen werden kann und was besonders im Kinder- und Jugendlichenbereich zu beachten ist.
Das Video können Sie sich kostenlos ansehen und bei Bedarf zwei Fortbildungspunkte erhalten. Den Link finden Sie am Ende des Artikels.
Zudem wurden drei Fallvideos mit kritischen Themen bzw. Situationen aus den unterschiedlichsten Bereichen der psychotherapeutischen Arbeit präsentiert. Besonders der Fall, der das Thema Rassismus ansprach, emotionalisierte und führte zu einer dynamischen Diskussion, die am Ende noch Fragen und für den einen oder anderen konkrete Handlungsoptionen offenließ.
Dies nahmen wir zum Anlass, die drängendsten Fragen mit dem OPK-Präsidenten Herrn Dr. Peikert noch einmal zu besprechen:
Frage: Einige Kolleginnen und Kollegen fühlten sich durch das Interview persönlich sehr angesprochen und zum Nachdenken bewegt. Eine Teilnehmerin äußerte: „Durch unsere eigenen individuellen Erfahrungen, unsere Sozialisierung kann Diskriminierung unbeabsichtigt in der Behandlung stattfinden. Wie offen bin ich selbst dafür, diese Erkenntnis im Einzelfall zuzulassen und wie offen gehe ich damit um?“ Herr Dr. Peikert, für diese Kollegin stellte sich die Frage, wie man es den Patienten „erlauben“ kann, dieses Thema offen in der Behandlung anzusprechen? Wie kann man generell einen Raum schaffen, in dem der Patient zu jedem Zeitpunkt in der Behandlung ansprechen kann, wenn etwas für ihn nicht Stimmiges geschieht?
Dr. Gregor Peikert: In der Frage steckt bereits eine wichtige Formulierung: „Wenn etwas nicht Stimmiges geschieht“, kann dies einerseits ein Anstoß für eine neue Entwicklung oder ein Umdenken sein, aber auch ein Hinweis auf eine Störung der therapeutischen Beziehung. Die Autoren, mit denen wir das Interview geführt haben, haben auf beide Möglichkeiten hingewiesen. Deshalb ist Offenheit gegenüber Signalen für „Nicht-Stimmigkeit“ und das therapeutische Eingehen darauf eine konstruktive und wichtige Grundhaltung. Ungünstig wäre aus meiner Sicht, aus Furcht vor Diskriminierung heikle Themen zu umgehen.
In meinen Therapien ermutige ich Patienten ausdrücklich, mir Rückmeldung zu geben, besonders dann, wenn sie etwas stört. Ich hole mir am Ende fast jeder Therapiesitzung und auch am Beginn einer neuen Sitzung Rückmeldungen dazu ein, ob sich Patienten richtig verstanden fühlen und ob die Behandlung aus ihrer Sicht richtig läuft.
Die Erkenntnis, selbst bei einem Thema in der Behandlung sehr involviert zu sein, braucht dann welche Selbstreflexion, um mit den Patienten weiter arbeiten zu können? Was raten Sie Kollegen, um weiter professionell zu bleiben?
Sicherlich ist es gut, sich regelmäßig, beispielsweise im Rahmen einer Intervision, mit eigenen Bewertungsmustern auseinanderzusetzen. Auch eine Supervision kann dabei helfen. Ich selbst empfinde es aber auch als hilfreich, bei Fortbildungen – zum Beispiel bei „OPK vor Ort“ – oder im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen andere Perspektiven kennen zu lernen, zu versuchen, mich in Denkweisen anderer zu versetzen. Ich erlebe beispielsweise, dass sich Denkmuster in West- und Ostdeutschland und zwischen Jungen und Älteren – zu Letzteren gehöre ich inzwischen – unterscheiden, auch bei Psychotherapeuten. Dann versuche ich, so gut ich kann, aus den Augen der anderen auf die Welt zu schauen.
In welchem berufsrechtlichen Rahmen bewegen sich Therapeuten, wenn sich die Weiterbehandlung eines Patienten wegen zum Beispiel extremer politischer Äußerungen in der Behandlung schwierig bis nicht mehr machbar erweist?
Berufsrechtlich sind wir verpflichtet, zunächst alle Patienten respektvoll, unterstützend und korrekt zu behandeln, unabhängig von deren politischer Haltung. Bei unseren „OPK vor Ort“-Veranstaltungen brachten viele Teilnehmer gute Ideen ein, wie man trotz extremer Ansichten von Patienten emotional unterstützend reagieren kann.
An die Grenzen kann das stoßen, wenn sich keine konstruktive therapeutische Interaktion herstellen lässt. Dann gilt das ethische Prinzip des „primum non nocere“, also die Pflicht, Schaden von Patienten fernzuhalten. Eine destruktive Interaktion könnte einen solchen Schaden hinterlassen, beispielsweise Patienten entmutigen oder emotional destabilisieren.
Darf die Therapie deshalb abgebrochen werden?
Destruktive Interaktionen sollen nicht fortgesetzt werden, wenn keine ausreichende Hoffnung auf Herstellung einer förderlichen Therapiebeziehung mehr besteht. Dann wäre es auch aus berufsrechtlicher Sicht erforderlich, die Behandlung zu beenden.
Kann die Psychotherapeutin, der Psychotherapeut dann im Abschlussgespräch diese Problematik als Gründe für den Abbruch offen ansprechen?
An dieser Stelle wäre es gut, die Probleme in der Interaktion zwischen Patientin und Therapeutin zu benennen. Wir sollten dabei berücksichtigen, dass an der Interaktion beide beteiligt sind. Es wäre zu einseitig und unter Umständen stigmatisierend, wenn die politische Meinung des Patienten als Grund für den Behandlungsabbruch genannt wird.
Wie würden Sie ein solches Abschlussgespräch aus diesen Gründen gestalten?
Je nachdem, wie offen ein Patient ist, würde ich entweder die bisherige Interaktion reflektieren oder auch nur meine Einschätzung mitteilen. Wichtig wäre, dem Patienten Alternativen zu nennen, falls ich einschätze, dass eine Behandlung aus fachlicher Sicht notwendig ist. Sollte ich den Eindruck haben, dass eine Psychotherapie in der momentanen Situation des Patienten generell nicht angezeigt ist, würde ich auch das mitteilen und erklären.
Sehen Sie bei dieser Thematik berufsrechtliche Stolpersteine, die zu beachten sind?
Stolpersteine können sich aus den Emotionen ergeben, die sich bei Therapeuten in schwierigen Interaktionen entwickeln. Es ist absolut menschlich, sich zu ärgern, aber abrupte oder unsachliche Reaktionen führen manchmal dazu, dass Patienten sich anschließend bei der OPK beschweren.
Gibt es Sorgfaltspflichten, die in einer solchen Situation vom Psychotherapeuten zu beachten sind?
Die generellen Sorgfaltspflichten gelten besonders auch bei einem vorzeitigen Ende der Therapie. Therapeuten sollten gut dokumentieren, welche Gründe sie zu ihrer Entscheidung bewegt haben, dass sie Patienten darüber aufgeklärt und dass sie ihnen Behandlungsalternativen genannt haben.
Insgesamt betrachtet: Welche Relevanz messen Sie dieser politischen wie gesellschaftlichen Entwicklung für die Arbeit von Psychotherapeuten bei?
Es ist Aufgabe, aber auch Chance für unsere Profession, Möglichkeiten zum konstruktiven und reifen Umgang mit Emotionen und Konflikten zu vermitteln. Wir sollten Fähigkeiten von Patienten stärken, respektvoll mit anderen zu kommunizieren, ihre Bedürfnisse angemessen zu vertreten und Konflikte konstruktiv zu lösen. Vorurteile, Diskriminierung oder extremistische Haltungen stehen konstruktiver Konfliktbewältigung entgegen.
Wie wird sich die OPK weiter mit der Thematik beschäftigen? Was können Sie den Mitgliedern dazu anbieten?
Die Resonanz auf unsere Veranstaltungen hat gezeigt, dass die Thematik viele bewegt und eine weitere Auseinandersetzung damit notwendig ist. Mit diesem Material hier möchten wir an die Veranstaltungen anknüpfen. Wir überlegen, ob wir dazu weitere Veranstaltungen anbieten oder Informationsmaterial über die Website bereitstellen.
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