Forschung zur Verbesserung Ihrer Praxisarbeit bei Angststörungen:Aufruf an niedergelassene Kollegen und Kolleginnen, diese Studien zahlreich zu unterstützen

Frage: Herr Pittig, die TU Dresden ist Teil eines universitären Forschungsverbundes, der sich auf die psychotherapeutische Behandlung von Angsterkrankungen spezialisiert hat. Können Sie den Inhalt und das Ziel der Arbeit des Forschungsverbundes kurz darlegen!

Dr. Andre Pittig: Das Forschungsprogramm ist Teil eines größeren Forschungsverbundes, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird, dem sogenannten Forschungsnetz zur Erforschung von psychischen Erkrankungen. Und unser Teilprojekt „PROTECT-AD“ beschäftigt sich speziell mit der Behandlung von Angststörungen und umfasst mehrere universitäre Center in Deutschland. Der Kernpunkt unseres Forschungsprojekts sind zwei große klinische Studien und eine anwendungsbezogene Studie, die sich direkt an die niedergelassenen Praktiker richtet. Damit möchten wir die Behandlung von Angststörungen sowohl von wissenschaftlicher Seite als auch die Voraussetzungen für die  Anwendung durch die niedergelassenen Kollegen und Kolleginnen verbessern.

Frage: Was genau passiert in den klinischen, was in der anwendungsbezogenen Studie? Und was genau wird untersucht?

Dr. Andre Pittig:  Die beiden klinischen Studien sind randomisierte klinische Studien, einmal mit erwachsenen Patienten und einmal mit Kindern im Alter von 8 bis 14 Jahren. Beide Studien haben als größere Fragestellung den Hintergrund, dass sie versuchen, die bestehende kognitive Verhaltenstherapie bei Angststörungen zu optimieren. Dabei greifen wir auf neuste Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung zurück, die den Mechanismus der kognitiven Verhaltenstherapie – und ganz spezifisch von expositionsbasierten Verfahren – untersuchen. Hierbei spielt das sogenannte Extinktionslernen eine besondere Rolle. Aus der neurobiologischen Grundlagenforschung wissen wir mittlerweile recht genau, wie dieses Lernen stattfindet und wie es zu einer Reduktion von Angst beiträgt. Allerdings wissen wir noch sehr wenig darüber, wie es  sich in der realen Therapie auswirkt. Genau das möchten wir in dem Hauptprojekt – der klinischen Studie mit Erwachsenen – überprüfen, indem einmal eine normale Expositionstherapie und eine optimierte Variante miteinander verglichen werden. In der optimierten Variante sollen bestimmte Strategien getestet werden, um genau dieses Extinktionslernen in der Therapie zu verbessern, damit langfristig bessere Erfolge erzielt werden. Dazu soll beispielsweise der zeitliche Abstand zwischen den Expositionsübungen oder auch die Art der Übungen an sich für verbesserte Lerneffekte angepasst werden. In diesem Rahmen sollen deutschlandweit zirka 700 Patienten therapiert und über mehrere Monate nach Therapieende begleitet werden, so dass wir die langfristige Wirksamkeit abschätzen können.

Das zweite Projekt hat eine ähnliche Hauptfragestellung: Auch hier geht es um die Verbesserung von bestehenden Therapieverfahren – jetzt allerdings bei Kindern. Und hier liegt der Schwerpunkt darauf, wie stark Eltern in den Therapieprozess, in den Expositionsprozess eingebunden werden. Zu diesen beiden Hauptprojekten kommen noch mechanistische Teilprojekte, in denen es darum geht, zu untersuchen, welche Mechanismen dem Ganzen zugrunde liegen. Da untersuchen wir beispielsweise, welche physiologischen Marker, welche neuralen Marker genetische und epigenetische Veränderungen bewirken. Unsere Hauptfrage hier: Welche Marker erlauben eine Vorhersage darüber, wer besonders gut auf eine Therapie anspricht?

Das dritte große Projekt ist eine anwendungsbezogene Studie, in der wir versuchen, die Erkenntnisse, die wir aus der Forschung gewinnen, in die Praxis zu übertragen. Und dieses Projekt richtet sich direkt an niedergelassene Psychotherapeuten. Als Hauptziel hat es die Verbesserung der Voraussetzungen von expositionsbasierten Verfahren und der kognitiver Verhaltenstherapie bei Angststörungen. Die Behandlung von Angststörungen bildet ja einen Schwerpunkt in der psycho-therapeutischen Praxis. Unserer Meinung nach wird eine effiziente ambulante Behandlung jedoch durch viele Barrieren im gesundheitlichen Versorgungssystem erschwert. Wartezeiten erstrecken sich über mehrere Monate und besonders Expositionsverfahren sind nur schwierig in den klinischen Alltag der Kollegen/innen umsetzbar. Eine notwendige Verbesserung der Behandlung muss neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen also auch die Erfahrungen und Arbeitsbedingungen der behandelnden Psychotherapeuten/innen berücksichtigen. Es geht also darum, mit den praktisch tätigen Kollegen/innen neue Versorgungskonzepte zu entwickeln, damit die Behandlung von Angststörungen in der realen Praxis verbessert werden kann.

Dr. rer. soc. Dipl.-Psych. Andre Pittig

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  • 2008 Diplomstudium Psychologie, Universität Bielefeld
  • 2009 bis 2011 Research Associate, Anxiety Disorders Research Center (Prof. Michelle G. Craske), University of California, Los Angeles, USA

  • 09/2009 – 2/2013 Promotion am Lehrstuhl für Klinische und Biologische Psychologie, Universität Mannheim (Prof. Dr. Georg W. Alpers), “The cost of fear – A decision-making approach on avoidance”
  • 11/2012 – 12/2014 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Selz-Institut für Angewandte Psychologie und am Lehrstuhl für Klinische und Biologische Psychologie und Psychotherapie, Universität Mannheim
  • Seit 01/2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Technische Universität Dresden (Prof. Jürgen Hoyer, Prof. Hans-Ulrich Wittchen)

Frage: Wie sind Sie zu diesem Studiengegenstand gekommen?

Dr. Andre Pittig: Die Forschung um das Extinktionslernen boomt in den letzten Jahren. Es gibt sehr viele Annahmen und Übersichtsarbeiten dazu, wie der Prozess in der Therapie abläuft. Genau hat das aber bisher niemand überprüft. Das möchten wir nun in der Studie nachholen. Dies ist der Hintergrund für die klinischen Studien. Für das Transferprojekt haben wir uns überlegt, dass es oft an der Übertragung von Forschungserkenntnissen in die Praxis fehlt. Die Voraussetzungen, wie niedergelassene Psychotherapeuten im Vergleich zu unseren Studienbedingungen in der Praxis arbeiten, gehen sicher auseinander. Daher wissen wir oftmals gar nicht, wie unsere Strategien optimal in die Praxis übertragen werden können. Daraus ist das anwendungsbezogene Projekt entstanden. Wir möchten herausfinden, welche Einschränkungen, welche Barrieren gibt es bei den niedergelassenen Kollegen, die wir in den Studien bei uns gar nicht bemerken. Aus dieser Befragung, bei der wir stark auf die Hilfe der niedergelassenen Kollegen angewiesen sind, sollen Verbesserungen entwickelt werden. Mit den Kammern, den Krankenkassen, mit Patientenverbänden wollen wir über die Ergebnisse in Expertenrunden diskutieren. Daraus sollen Strategien folgen, die den niedergelassenen Kollegen direkt zugutekommen. Kurz gesagt, wir möchten von unseren Kollegen wissen, was macht es schwer oder erschwerlich, eine gute Angsttherapie und gute Expositionsübungen durchzuführen? Und das würden wir mit unseren Daten gern ändern, und unsere Erkenntnisse wieder sofort zurück in das System fließen lassen.

Frage: Also wirklich Forschungsarbeit für die Praxis. Wie ist der Aufruf an die niedergelassenen Kollegen zur Unterstützung der Arbeit?

Dr. Andre Pittig: Unser Aufruf wäre, dass wir alle Kollegen und Kolleginnen bitten unseren  Onlinefragebogen auszufüllen. Da geht es ganz spezifisch darum, welche Barrieren sehen niedergelassene Psychotherapeuten im Versorgungssystem? Was macht es erschwerlich? Welche Veränderungsvorschläge gibt es? Sollte sich beispielswiese die Beantragung oder die Honorierung ändern? Damit können wir die Bedingungen der niedergelassenen Kollegen analysieren, die wir im Studienbereich so nicht vorfinden. Wir würden uns sehr freuen, wenn möglichst viele Kollegen diesen Fragebogen ausfüllen.

Frage: In welchem Zeitraum läuft die Studie?

Dr. Andre Pittig: Wir haben erste Erhebungen schon im letzten halben Jahr gemacht, um hauptsächlich den Fragebogen zu überprüfen. Jetzt beginnt gerade die Onlineerhebung. Diese wird die nächsten drei bis vier Monaten laufen. Und wir setzen darauf, mindestens 500 unserer niedergelassenen Kollegen motivieren zu können, daran teilzunehmen. Hoffen aber natürlich auf mehr! Je mehr teilnehmen, desto mehr erfahren wir über deren Voraussetzungen, unter denen sie arbeiten.

Frage: Gibt es für die Teilnehmer Möglichkeiten, vor Veröffentlichung der Studie erste Erkenntnisse, Optimierungsmöglichkeiten für deren Arbeit mit Angststörungen zu erhalten?

Dr. Andre Pittig: Wir haben für die Verhaltenstherapiewochen im nächsten Jahr einige Vorträge angemeldet, in denen wir unsere ersten vorläufigen Ergebnisse zurückmelden möchten. Darüber hinaus möchten wir dort in den direkten Kontakt mit den niedergelassenen Kollegen kommen und diskutieren, ob es weitere Schwierigkeiten oder Barrieren gibt, die ihnen auffallen.

Wir haben kürzlich auch einen Artikel in der Zeitschrift „Psychotherapeut“ veröffentlicht, in dem wir noch einmal ganz genau versuchen, das Grundlagenwissen in Form von Fallbeispielen zu beschreiben. Was könnten für Strategien in einem bestimmten Fall, bei einem bestimmten Klienten empfohlen werden.

Frage: Sie bieten ebenso an, dass die niedergelassenen Kollegen Patienten an die Studiencenter überweisen können, wenn z.B. ihre eigenen Wartelisten momentan keine Kapazität haben. Ist das nur für Therapeuten rund um Dresden möglich und was sind die Vorteile daraus?

Dr. Andre Pittig: Das ist nicht nur in Dresden möglich, sondern an allen teilnehmenden Centern, die ebenfalls mit dieser Therapie arbeiten. Das sind neben Dresden in Ostdeutschland auch Berlin und Greifswald. Alle diese Center werden spätestens ab dem nächsten Jahr diese klinischen Studien durchführen. Der wirkliche Vorteil dabei ist für die Patienten, dass wir relativ geringe Wartezeiten haben. Wenn Kollegen überlastet sind, die Wartezeiten recht lang sind, gäbe es da die Möglichkeit, schneller an einen Therapieplatz zu kommen. Außerdem würden wir eine sehr ausführliche Diagnostik mit den Pateinten durchlaufen, weil uns eben gerade Faktoren, die den Therapieerfolg beeinflussen, sehr stark interessieren.

Frage: Wo ist der Fragebogen der Studie abrufbar? Verschicken Sie diesen auch postalisch? Wo sind weitere Informationen zum Projekt erhältlich?

Dr. Andre Pittig: Die Befragung wird zu Beginn über eine Onlineerhebung stattfinden. Den Fragebogen kann man unter dem Link  fragebogen.protect-ad.de  finden. Dort kann man den Fragebogen direkt abrufen und ausfüllen. Sollte diese Strategie nicht zu der gewünschten Teilnehmerzahl führen, würden wir auch noch einmal eine postalische Verschickung in Erwägung ziehen.

Einen Link zum Fragebogen findet man auch auf unserer Homepage  www.protect-ad.de, wo auch noch weitere Informationen über die gesamte Studie gefunden werden können, zum Beispiel welche Center deutschlandweit daran teilnehmen, wie auch die Kontaktinformationen, falls man einen Patienten überweisen möchte. Der Artikel mit den Fallbeispielen ist dort zum Nachlesen auch verlinkt.

Download des Fragebogens

 

Einladung zur Teilnahme an der Studie