„Psychiatrische Kliniken haben seit Langem zu wenige Psychotherapeut*innen, um ihre Patient*innen leitlinienorientiert zu versorgen“, erklärt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Im Kern ging es bei der Reform der psychiatrischen Krankenhäuser um mehr Zeit für die Patient*innen: mehr Zeit für Gespräche, mehr Zeit für den Aufbau von tragfähigen und vertrauensvollen Beziehungen, mehr Zeit für Kriseninterventionen.“ Nach der PPP-Richtlinie kann eine Patient*in zum Beispiel durchschnittlich 50 Minuten Einzeltherapie pro Woche erhalten. Dagegen liegt das intensivtherapeutische Angebot in ambulanten Praxen schon bei drei Stunden Einzeltherapie je Woche. „Die G-BA-Entscheidung ist aufgrund der chronischen psychotherapeutischen Unterversorgung in den psychiatrischen Kliniken unverantwortlich“, stellt BPtK-Präsident Munz fest. „Der G-BA hat einen fachlichen Spielraum gesetzliche Vorgaben auszufüllen, aber gar nichts zu tun, verstößt eindeutig gegen den gesetzlichen Auftrag.“
Auch ein Kompromissvorschlag des unparteiischen Vorsitzenden Prof. Josef Hecken in letzter Minute dokumentiert Hilflosigkeit angesichts des Unwillens der Krankenhäuser und der Krankenkassen, den gesetzlichen Auftrag umzusetzen. Er will sicherstellen, dass Anfang 2022 Daten zur Personalsituation in den Kliniken vorliegen. „Auch wenn wir wissen, über wie viel Personal die Kliniken verfügen, sagt das noch nichts darüber aus, wie viel Psychotherapie bei den Patient*innen ankommt, und vor allem nichts darüber, wie viel es denn sein sollte“, erklärt BPtK-Präsident Munz fest. „Diese Fragen lassen sich mit Daten zum Ist-Zustand nicht beantworten.“
Die BPtK fordert deshalb das Bundesgesundheitsministerium auf, den Beschluss nur mit der Auflage zu genehmigen, dass der G-BA kurzfristig die Minutenwerte für Psychotherapie erhöht. Die BPtK hatte zusammen mit der Bundesärztekammer und der Patientenvertretung im G-BA eine Erhöhung der Minuten für Einzelpsychotherapie auf mindestens 75 bis 100 Minuten gefordert.
Rückblick: Das Scheitern der Reform der psychiatrischen Krankenhäuser
• 2012 erhält der G-BA den Auftrag, Empfehlungen für die Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik bis 2017 zu erarbeiten (§ 137d Psychiatrie-Entgeltgesetz): Die Empfehlungen sollen die Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) ablösen. Mit den überholten Standards der 20 Jahre alten Psych-PV ist eine Versorgung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft schon lange nicht mehr möglich.
• 2014 nimmt der G-BA die Beratungen auf.
• 2016: Der G-BA legt keine Personalempfehlungen vor. Der Gesetzgeber präzisiert seinen Auftrag und verlangt verbindliche Mindestvorgaben für die Ausstattung mit therapeutischem Personal bis 2020 (§136a Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen)
• 2019: Der G-BA verabschiedet eine Erstfassung der PPP-Richtlinie und erhöht die Minutenwerte für Einzeltherapie von 29 Minuten je Woche auf 50 Minuten. Das entspricht der durchschnittlichen Versorgung von psychisch kranken Menschen in psychotherapeutischen Praxen. Deren intensivtherapeutisches Angebot liegt jedoch bei drei Stunden je Woche. Durch die gestiegenen Anforderungen z. B. an Dokumentation und Qualitätssicherung ist nicht einmal sichergestellt, dass die 50 Minuten in der Klinik auch bei den Patient*innen ankommen.
• 2019: Dem Gesetzgeber reicht die verabschiedete G-BA-Richtlinie nicht aus. Er erteilt umgehend den Auftrag, die Richtlinie bis zum 1. Januar 2021 um Mindestvorgaben für Psychotherapeut*innen zu ergänzen (Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung).
• 2020: Der G-BA hält die Frist nicht ein. Der Gesetzgeber gewährt eine Fristverlängerung bis 2022 (Krankenhauszukunftsgesetz).
• 16. September 2021: Der G-BA verabschiedet eine PPP-Richtlinie und erhöht nicht die Mindestvorgaben für Psychotherapie. Die BPtK hatte zusammen mit der Bundesärztekammer und der Patientenvertretung im G-BA eine Erhöhung der Minuten für Einzelpsychotherapie auf mindestens 75 bis 100 Minuten gefordert.