Psychotherapeuten als Sachverständige„….man braucht auch Mut“ – Gesetzliche Festschreibung von Mindeststandards an familienrechtlichen Gutachten ist auf dem Weg

Es existieren verschiedenste straf-, familien-, sozial- und verwaltungsrechtliche Fragestellungen, bei welchen es sinnvoll sein kann, dass die Gerichte psychotherapeutischen Sachverstand hinzuziehen. Fachlich fundierten Gutachten kommt dabei eine besondere Bedeutung bei der Beantwortung solcher  gerichtlicher Fragstellungen zu. Denn bei einigen reicht der Sachverstand der Richter nicht aus, um eine angemessene und fundierte Entscheidung zu treffen.

SorgerechtAlleine im familienrechtlichen Bereich geht man von ca. 10.000 Gutachten im Jahr aus, die von den Gerichten beauftragt werden. De facto wird bei einem Großteil der kindschaftsrechtlichen Verfahren die Entscheidung des Gerichts unter Berücksichtigung einer gutachterlichen Stellungnahme getroffen. Die Erstellung eines qualifizierten und verwertbaren Gutachtens erfordert dabei große Sorgfalt, sowie rechtliche und besonderer fachliche Kenntnisse. Deswegen haben elf von zwölf Psychotherapeutenkammern den Erwerb dieser speziellen Kenntnisse in curricularen Fortbildungen geregelt. Im Kern regeln diese Kammern dabei den Erwerb von Grundkenntnissen gutachterlicher Tätigkeit, die zusammen mit Spezialkenntnissen aus den großen Rechtsgebieten wie Familien – oder Strafrecht zu einer umfassenden Fortbildung kombiniert werden.

Denn derzeit stehen die Zeichen günstig, um Forderungen nach der Verbesserung der Qualität von Gutachten Gehör zu verschaffen. Das gilt  insbesondere für den familienrechtlichen Bereich. Immer wieder greifen die Medien das Thema auf. Die Berichterstattung um fatale Auswirkungen teils sehr mangelhafter Gutachten, die von Personen mit fragwürdiger Qualifikation erstellt wurden, reißt nicht ab und findet einen breiten gesellschaftlichen Widerhall. Besonders problematisch ist dabei, dass es derzeit keine gesetzlichen Regelungen zur Qualifikation und fachlich gebotenen Anforderungen an solche Gutachten gibt. Auch die Bundesregierung schreibt sich die Verbesserung der Qualität von familienrechtlichen Gutachten explizit auf die Fahnen und hielt dieses Ziel im Koalitionsvertrag fest. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) nahm dazu bereits seine Arbeit auf. Es wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit Mindeststandards für familienrechtliche Gutachten beschäftigt. Hierzu waren auch einschlägige psychologische und psychotherapeutische Verbände sowie die BPtK eingeladen, um ihre Vorstellungen einzubringen.

Zunächst einmal sollte der Sachverständige über die erforderliche fachliche Kompetenz verfügen, ein Gutachten für die Fragestellung des Gerichts zu erstellen. Die wichtigsten Kriterien qualitativ hochwertiger Gutachten sind zunächst einmal die Umsetzung der gerichtlichen Fragestellung, bzw. des Beweisbeschlusses in eine adäquate psychologische Fragestellung. Auch muss die äußere Form den Standards genügen und die Beteiligten umfassend aufgeklärt werden, z.B. auch über die Freiwilligkeit der Teilnahme und ein eventuell bestehendes Aussageverweigerungsrecht. Gegebenenfalls muss eine Schweigepflichtentbindung eingeholt werden. Ein zentraler Punkt ist die Trennung von Datenerhebung und Interpretation der Befunde. Es muss dabei transparent und logisch dargestellt werden, wie beim Zusammentragen der Daten vorgegangen wurde. Erst anschließend folgt eine Bewertung der erhobenen Daten. Das Gutachten soll zeigen, dass die Erstellerin kompetent und nachvollziehbar argumentiert. Erwägungen, die sich nicht auf die konkreten Fragen beziehen, sind zu unterlassen und der Sachverständige muss grundsätzlich Neutralität wahren. Besondere Beachtung verdient auch der Hinweis, dass die Gutachter lediglich die Fragen des Gerichts – respektive die daraus abgeleiteten psychologischen Fragen – zu beantworten haben. Eine Entscheidung über den konkreten Fall trifft der Richter. So hat der Sachverständige etwa die Frage nach Art und Schwere einer möglichen Kindswohlgefährdung zu beantworten – was sich hieraus als gerichtliche Entscheidung – beispielsweise bezüglich eines Sorgerechtsentzugs – ergibt, ist allein Sache der zuständigen Familienrichter. Mögliche Mängel im Gutachten können mitunter auf Anweisung des Gerichts behoben, d.h. nachgebessert werden.

Ein im Herbst letzten Jahres ergangenes Urteil der 1. Kammer des Bundesverfassungsgerichts (BVG), das die Verfassungswidrigkeit eines Urteiles des Oberlandesgerichtes (OLG) Paderborn in einem kindschaftsrechtlichen Verfahren erklärte, gibt den Bemühungen um eine Festlegung von fachlichen Mindeststandards nun neuen Aufwind. Das OLG Paderborn entzog einem Vater das Sorgerecht für seine kleine Tochter, da dieser nur eingeschränkt erziehungsfähig sei. Das Gericht stütze sich dabei überwiegend auf das mündliche und schriftliche Gutachten einer Sachverständigen, die dem Gericht „bekannt und kompetent“ sei. Eine kritische Würdigung des Gutachtens fand in dem – lediglich 16 Zeilen umfassenden – Beschluss nicht statt. An der Qualität des Gutachtens, sowie an der Neutralität der Sachverständigen können aber erhebliche Zweifel angemeldet werden.

Das Urteil des BVG stärkte dabei das Recht der elterlichen Sorge, indem es ausdrücklich erklärte, dass Eltern ihre Erziehungsfähigkeit nicht positiv unter Beweis stellen müssten, vielmehr müssen, um einen so gravierenden Eingriff in die Grundrechte der Eltern festzusetzen, „gravierendes schädigendes Erziehungsverhalten“ festgestellt werden. In der Begründung hoben die Richter dabei hervor, dass Behörden Kinder ihren Eltern nur dann wegnehmen dürften, wenn die Eltern das „geistige, körperliche oder seelische Wohl ihrer Kinder nachhaltig schädigen“. Stützen sich die Gerichte dabei auf Sachverständigengutachten, müssen sie deren Stichhaltigkeit streng überprüfen. Im Falle des OLG Paderborn wurde die Qualität des eingeholten Gutachten – trotz der Schwerer der angeordneten Maßnahme – nicht kritisch gewürdigt und das, obwohl das Urteil über erhebliche Mängel verfügte und die gebotene Neutralität der Verfasserin stark zu bezweifeln stand. Die eigentliche Frage des Beweisbeschlusses wurde in dem Gutachten nicht beantwortet oder in geeignete psychologische Fragestellungen überführt. Vielmehr besteht das Gutachten überwiegend aus logisch nicht nach vollziehbaren Spekulationen und Beobachtungen, die über Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit des Auftreten einer schweren Kindswohlgefährdung nichts aussagen können.

Dieses Urteil scheint nun eine Wende in die Herangehensweise des BMJV zu bringen. Anstatt der Festlegung von relativ unverbindlichen Mindeststandards wird nun eine Herangehensweise erwogen, die notwendigen Anforderungen an Gutachten gesetzlich festzuschreiben. Aus Sicht der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer ist dies sehr begrüßenswert und schon seit geraumer Zeit Teil der politischen Agenda. Gespräche über fachlich sinnvolle Qualifikationsanforderungen fanden dabei schon statt. Ein qualifizierter Gutachter im familienrechtlichen Bereich kann demnach ein approbierter Psychologischer Psychotherapeut (PP), ein Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut (KJP), ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder eine Person mit einem Abschluss auf Masterniveau in Psychologie sein. Zentral ist weiterhin für alle Qualifikationsformen, dass eine spezielle Fortbildung im gutachterlichen Bereich unabdingbar ist. Fortbildungen müssen darüber hinaus kontinuierlich weitergeführt werden, da man sich über gesetzliche Änderungen und Neuregelungen und den aktuellen wissenschaftlichen Stand des Fachgebietes auf dem Laufen halten muss. Klinische Erfahrung ist weiterhin von großer Bedeutung. Zu beachten ist außerdem, dass die Diagnostik psychischer Störungen Approbierten vorbehalten bleibt. Auch die Interpretation der Ergebnisse psychodiagnostischer Tests erfordert spezifisches Fachwissen und bleibt Psychologen vorbehalten.

Die OPK hat sich dieser Thematik bereits seit vielen Jahren angenommen und versucht die Situation zu verbessern, indem wir uns einerseits auf politischer Ebene für die Durchsetzung von Mindeststandards einsetzen und andererseits, indem interessierten Mitgliedern eine umfassende curriculare Fortbildung angeboten wird, von der auch dieses Jahr wieder Module im Programm stehen. Es ist wünschenswert, dass die Sachverständigenliste der OPK viele qualifizierte Psychotherapeuten listet, um den Bekanntheitsgrad dieser Liste bei Gerichten und anderen politischen Akteuren zu erhöhen. Hierfür sind auch Fortbildungsveranstaltungen gemeinsam mit Richtern, sowie weiterführende politische Gespräche geplant.

Eine wichtige Kompetenz, die ein Sachverständiger haben sollte, sollte darüber hinaus nicht vergessen werden. In familiengerichtlichen Verfahren  hat man es beispielsweise mit Familien zu tun, die bereits hochzerstritten sind und in denen es oft um multiple Problemlagen ging. So erfordert eine fundierte Sachverständigentätigkeit häufig auch ein gewisses Maß an Mut, Tatsachen zu benennen und Prognosen abzugeben, die aus der eigenen Expertise abgeleitet werden können. Aber  auch den Mut, festzustellen, dass es für einige psychologischen Fragestellungen auch keine eindeutige Antwort gibt und dies klar zu benennen.

Dr. Andrea Walter, Wissenschaftliche Referentin der OPK

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