Neugestaltung des psychotherapeutischen Erstkontakts: Die psychotherapeutische Sprechstunde
Die psychotherapeutische Sprechstunde wird Patienten ermöglichen, zeitnah einen Termin beim Psychotherapeuten zu bekommen, um eine erste diagnostische Abklärung, sowie fachliche Empfehlungen zum weiteren Vorgehen (ggf. Indikationsstellung), und bei Bedarf auch eine zeitnahe psychotherapeutische Behandlung erhalten zu können. Damit sollen Patienten schnell erfahren, ob sie an einer psychischen Erkrankung leiden, welche Hilfemöglichkeiten es gibt (z.B. auch Beratungs- oder Selbsthilfeangebote) oder ob sie eine psychotherapeutische Behandlung benötigen. Eine gegebenenfalls notwendige Behandlung wird von den Psychotherapeuten, die die Sprechstunde durchgeführt haben angeschlossen oder aber es wird versucht an Kollegen zu vermitteln. Wenn dies nicht gelingt, können sich Patienten an die Terminservicestellen der KVen wenden, die Termine innerhalb von vier Wochen einen Termin vermitteln sollen. Die Sprechstunde wird dabei für alle Patienten den einzigen Zugang zur ambulanten Psychotherapie darstellen (einige Ausnahmen werden allerdings vorgesehen sein), d.h. jeder Patient muss vor einer Behandlung zuerst eine Sprechstunde besucht haben.
Für Psychotherapeuten wird die Sprechstunde freiwillig sein. Praxen, die die Sprechstunde anbieten wollen, müssen einige strukturelle Voraussetzungen erfüllen: so müssen bei vollem Sitz 100 Minuten in der Woche für Sprechstunden vorgehalten werden, die Zeiten der telefonischen Erreichbarkeit angekündigt und die telefonische Erreichbarkeit muss 250 Minuten in der Woche gewährleistet sein.
„Die Erstkontakte zum Psychotherapeuten werden für Patienten dadurch schneller möglich sein. Die große Frage ist dann aber, wie es weitergeht. Ob die Bürokratie wieder so viele Hindernisse macht, dass dann doch wieder Wartezeiten entstehen“, hinterfragt die OPK-Präsidentin. Zur Verhältnismäßigkeit der wöchentlichen, telefonischen Erreichbarkeit von Psychotherapeuten – fünf Stunden – zu der insgesamt zu vergebenden wöchentlichen Sprechstundenzeit – zwei Stunden – ist Andrea Mrazek regelrecht aufgebracht: „Ich habe schon lange nicht mehr eine solche kontraproduktive Regelung gesehen und bin über diese Festlegung sprachlos. Dadurch fallen für Patienten schon mal grob gerechnet über 200 Therapiestunden weg.“
Neue Leistung: Akutbehandlung
Neben der psychotherapeutischen Sprechstunde gibt es eine weiter neue Leistung: die sogenannte Akutbehandlung. Sie ist für Patienten gedacht, die sofortige und unmittelbare Hilfe benötigen, damit sich ihr Zustand nicht weiter verschlechtert oder sie beispielsweise ins Krankenhaus eingewiesen werden müssten oder arbeitsunfähig werden. Hierfür können bis zu 24 Einheiten a 25 Minuten vorgesehen werden. Diese neue Leistung muss nicht bei der Krankenkasse beantragt werden, sondern muss lediglich angezeigt werden.
Zur Akutbehandlung dämpft Andrea Mrazek vorerst zu hohe Erwartungen: „Es kommt darauf an, wie die sogenannte Anzeigepflicht dazu tatsächlich gestaltet wird. Das kommt erst in den Psychotherapie-Vereinbarungen. Und wenn hier die Bürokratie wieder kompliziert ist und durch das Verfahren Wartezeiten entstehen, ist wieder nichts gewonnen. Wenn akut nicht akutes, schnelles Handeln heißt, dann ist es fatal für die Patienten.“
Neustrukturierung des Therapieablaufs: neue Regeln und keine Vereinfachung des Antrags- und Gutachterverfahrens
Bei dieser neuen anzeigepflichtigen Leistung ist es aber bei einem weiteren grundlegenden Ziel der Reform – einer Vereinfachung der antrags- und Gutachterpflicht – geblieben. Entgegen dem Auftrag des Gesetzgebers wurden keine echten Veränderungen, d.h. neue Leistungen, geschaffen. Somit eröffnet sich für Psychotherapeuten für die Rezidivprophylaxe nach Abschluss einer erfolgten Behandlung kein neuer Handlungsspielraum, der chronisch und schwer erkrankten Patienten hätten helfen können, den Behandlungserfolg langfristig zu sichern.
Ansonsten haben sich keine großen Veränderungen ergeben, bzw. es wurden einige Neuerungen eingeführt, die eine flexible und patientenorientierte Handhabung verschiedener Möglichkeiten erschweren, anstatt eine Flexibilisierung zu erwirken. So wird es auch weiterhin probatorische Sitzungen vor Beginn von Kurzzeit- und Langzeittherapie geben – und zwar mindestens zwei und höchstens vier. Die Kurzzeittherapie wird in zwei Teile von je 12 Stunden geteilt, die beide antragspflichtig sind. Die Langzeittherapie wird wie gehabt gutachterpflichtig sein.
Die Regelung zur Kurzzeittherapie kritisiert die OPK-Präsidentin offen: Das ist eher ein Rückschritt als ein Fortschritt. Das geht eindeutig zu Lasten der Patienten, die in der bis zu drei Wochen dauernden Antragszeit warten müssen. Die Langzeittherapie bleibt gutachterpflichtig. Wer traut hier den Psychotherapeuten nicht zu, einzuschätzen, wie viele Therapiestunden Patienten brauchen?“
Standarddokumentation
In Zukunft wird die Richtlinie auch eine verbindliche Standarddokumentation vorschreiben, die zu Beginn und am Ende der Behandlung von Patienten und Psychotherapeutin gemeinsam ausgefüllt werden muss. Zu diesen Standarddokumentationsbögen gehören auch psychometrische Tests und im Kinder- und Jugendlichenbereich eine vorgeschriebene Intelligenzdiagnostik. Es ist nunmehr ein umfangreicher Dokumentationsbogen mit vorgegebenen Fragebögen vorgeschrieben.
OPK-Präsidentin Andrea Mrazek distanziert sich eindeutig von dieser G-BA-Festlegung: „So sieht Bürokratieabbau nicht aus. Patienten werden gezwungen, Fragen zu beantworten und Fragebögen auszufüllen und haben nicht die Möglichkeit, die vorgegebenen diagnostischen Instrumente abzulehnen bzw. einzuwilligen. So ist die Selbstbestimmung von Patienten wohl nicht gedacht. Psychotherapeuten können ebenfalls nicht entscheiden, ob sie diese Fragebögen oder generell Fragebögen zu diesem Zeitpunkt therapeutisch und diagnostisch sinnvoll finden. Die Auswahl und Festlegung erfolgte außerdem ohne Rückgriff auf empirische Evidenz zur Güte der vorgeschriebenen Testverfahren. Die vorgeschriebene Testung oder Einschätzung des Intelligenzniveaus bei Kindern und Jugendlichen ist in jedem Fall therapeutisch fragwürdig. Aus berufsrechtlicher Sicht wären hierzu Aufklärung und Einwilligung der Eltern vorausgesetzt.
Was ist nun mit den Begriffen Patientenrechte, Patientenselbstbestimmung und therapeutische Sorgfaltspflichten? Als Kammer haben wir hier große Bedenken. Von Eltern zu verlangen, angeben zu müssen, ob es sich bei ihnen um abnorme familiäre Verhältnisse handelt, ist eine unerträgliche Zumutung.“
Das erste Fazit zum G-BA-Beschluss aus der Sicht der OPK fällt ernüchternd aus. Es ist im Ganzen eine Einschränkung der Therapiefreiheit, die zu Lasten der Patienten geht. Psychotherapeuten werden gezwungen, bestimmte Testverfahren in der Dokumentation abzuarbeiten. Die Kammer hat große Bedenken, was das Berufsrecht als auch das Patientenrechtegesetz angeht.
Zum weiteren Vorgehen stellt Andrea Mrazek klar: „Als zuständige Kammer fühlen wir uns für unsere Kollegen dazu verpflichtet, jetzt nicht weiter abzuwarten, sondern auf die Hindernisse für eine flexiblere Patientenversorgung hinzuweisen. Wir können nur hoffen, dass wir dieses Mal mehr Gehör finden als bei der Bearbeitung der Richtlinie.“
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