Frage: Herr Best, als Außenstehender könnte man Psychotherapeuten als eine hart gebeutelte Profession empfinden. Fast jede berufspolitische Entwicklung hat ihre bittere Kehrseite. Der Berufsstand scheint nicht annährend auf Augenhöhe mit den Ärzten zu sein. Warum ist das nach wie vor noch immer so und was könnte diese Tatsache aus Ihrer Sicht ändern?
Dieter Best: Ich sehe es nicht so. Wir werden in der Gesellschaft durchaus auf Augenhöhe mit den Ärzten wahrgenommen. Psychische Krankheiten und Psychotherapie sind zu wichtigen Themen geworden. Das merkt man auch daran, wie die Medien darüber berichten. Wenn man sich allein das GKV-VSG ansieht, sind dort mehrere Regelungen aufgenommen worden, die die Psychotherapie deutlich nach vorn bringen können. Auch in der Politik sind unsere Anliegen gut angekommen. Was schlecht vertreten ist, sind unsere honorarpolitischen Anliegen. Das macht sich am Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschuss deutlich. Es liegt einfach daran, dass wir als Psychotherapeuten als Minderheit den Ärzten und den Krankenkassen als Mehrheit gegenüberstehen. Und da geht es knallhart um Geldverteilung. Und alles das, was wir mehr kriegen, muss woanders eingespart werden. Damit macht man sich keine Freunde. Aber, dass es jetzt überhaupt einen Beschluss gegeben hat, ist nur dem ausgeübten Druck der Psychotherapeuten zu verdanken, auch wenn das Ergebnis überhaupt nicht befriedigend ist.
Frage: Welches Bild begegnet Ihnen berufspolitisch und im Alltag von Psychotherapeuten?
Dieter Best: Psychotherapeut zu sein wird im Alltag als ein sehr interessanter Beruf wahrgenommen. Die Vorbehalte, die zu meinem Berufsstart kursierten, haben sich bis heute total gewandelt. Früher war es generell schwer Ärzte zu finden, die einem Patienten zugewiesen haben. Heute ist das Problem eher, dass wir die zugewiesenen Patienten gar nicht mehr unterbekommen, die uns die Ärzte zuweisen. Berufspolitisch und von Kassenseite werden wir wahrgenommen, dass wir unsere Interessen sehr stark und sehr gut vertreten und wir eine starke Lobbyarbeit machen. Insofern ist unser Image sowohl in der Politik wie in der Gesellschaft ein gutes.
Diplom-Psychologe Dieter Best
- Jahrgang 1949, verheiratet, 2 Kinder,
- Studium der Psychologie in Mainz und Heidelberg,
- Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut mit eigener Praxis in Ludwigshafen,
- stellv. Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV), Mitglied der Vertretersammlungen der KBV und der KV Rheinland-Pfalz, alternierender Vorsitzender des Beratenden Fachausschusses für Psychotherapie der KBV, stellv. Mitglied des Bewertungsausschusses, Mitglied der Delegiertenversammlung der Bundespsychotherapeutenkammer und Gebührenordnungsbeauftragter des Vorstandes der Bundespsychotherapeutenkammer
Frage: Die Stärke der Psychotherapeuten wird weiterhin mit der zunehmenden Zahl der nächsten Therapeuten-Generation gewinnen?
Dieter Best: Allein die Zahl macht es nicht. Wir brauchen Nachwuchs, der sich berufspolitisch engagiert. Es tut sich aber eine Menge: Wir haben viele junge Kolleginnen und Kollegen, die richtiges Interesse an dieser Arbeit haben. So mache ich mir erstmal keine Sorgen um die Stärke unserer Lobby.
Frage: Nochmals zu den Honorarerhöhung in der ambulanten Behandlung um 2,7 Prozent: Die Zuschläge werden aber ausschließlich an den antragspflichtigen Leistungen festgemacht: Diagnostik, Therapieplanung, zeitnahe Abklärung, kurz, alles was zu einer sorgfältigen Indikationsstellung und Therapieplanung zwingend erforderlich ist, wird nicht aufgeführt und beziffert. Genau diese Leistungen werden aber im GKV-VSG gefordert. Was erwartet die Psychotherapeuten dann mit der G-BA-Ausgestaltung der Sprechstunden oder der Festlegungen zur Einweisung in ein Krankenhaus im Sommer 2016?
Dieter Best: Nach unserer Ansicht ist diese Honorarerhöhung rechtswidrig, weil sie nicht den Vorgaben des Bundessozialgerichtes nach einer angemessenen Vergütung der Psychotherapie entsprechen.
Diese 2,7 Prozent sind die eine Seite. Dazu kämen Zuschläge zu den genehmigungspflichtigen Leistungen bei einer bestimmten Praxismindestauslastung. Nach unseren statistischen Berechnungen profitieren 60 Prozent der Praxen von diesen Zuschlägen überhaupt nicht, das heißt, diese erhalten nur die 2,7 Prozent. Die restlichen 40 Prozent erhalten die Zuschläge abgestaffelt je nach Auslastungsgrad. Nur der, der 36 genehmigungspflichtige Psychotherapien pro Woche im Durchschnitt und auf Dauer macht, bekommt dann diesen Zuschlag. Lediglich 1 Prozent aller Praxen erreicht eine solche Auslastung. Zu den 36 Sitzungen kommen ja noch andere Tätigkeiten dazu. Dann liegt man schnell bei 50 bis 60 Arbeitsstunden die Woche. Diese Arbeitsleistung hält keiner auf Dauer durch. Und übrigens sind es 2,7 Prozent Honorarerhöhung auf insgesamt 6 Jahre. Während die somatisch tätigen Arztgruppen jedes Jahr 2,7 bis 3,5 Prozent zugelegt haben. Im Vergleich zu den Ärzten ist das nichts. Das ist nicht mal der Inflationsausgleich.
Frage: Wenn Sie dies nun gerichtlich austragen, ist mit einer Entscheidung in etlichen Jahren zu rechnen. Das ist eine sehr unbefriedigende Entscheidungs-Verschleppung.
Dieter Best: Ja schon. Das liegt an den Gerichten, die verstopft sind mit Verfahren, die nichts mit Psychotherapie zu tun haben. Das ist der Lauf der Dinge vor Gericht. Das dauert. Allein, dass es zu dem Beschluss des Bewertungsausschusses gekommen ist, hat mit Druck der Psychotherapeuten 3 Jahre gedauert.
Frage: Wird für Sie daraus eine Richtung deutlich, was zum Beispiel die nächsten wichtigen Grundlagen in der Psychotherapie durch den G-BA im nächsten Jahr beinhalten könnten? Ich meine die Ausgestaltung der Sprechstunde oder Festlegungen zur Einweisung in ein Krankenhaus?
Dieter Best: Was Sprechstunden oder die frühzeitige diagnostische Abklärung angeht, haben wir darauf hingewiesen, dass der Beschluss dies eher blockiert, weil diese spezielle Zuschlagsregelung dazu führen wird, dass die Psychotherapeuten möglichst viele genehmigungspflichtige Leistungen abrechnen. Und das zu Lasten der anderen Leistungen und der neu eingeführten Module. Das ist versorgungspolitisch ein ganz großer Unsinn. Es wird trotzdem die G-BA-Verhandlungen zur Einführung dieser Module jetzt nicht direkt beeinflussen. Denn im G-BA muss die gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung von Sprechstunde, zur frühzeitigen diagnostischen Abklärung, zur Akutversorgung, zur Rezidivprophylaxe umgesetzt werden. Wie das hinterher vergütet wird, das wird der Bewertungsausschuss wiederum verhandeln.
Frage: Beschneiden diese falschen Honoraranreize nicht sogar die Sorgfaltspflicht von Psychotherapeuten in der Ausübung ihrer Arbeit? Eine gute Diagnostik ist doch die Basis.
Dieter Best: Ja, das kann man durchaus so sehen. Der Beschluss unterläuft ein differenziertes Leistungsspektrum einer sinnvollen Psychotherapie mit allen flankierenden Leistungen, einschließlich einer guten Diagnostik.
Frage: Wenn Psychotherapeuten zweifelsfrei so wichtige Leistungen in der Diagnostik und Akutbehandlung in den Sprechstunden erbringen sollen, wie kommt dann diese Expertise in den G-BA, der genau diese Ausgestaltung festschreibt? Welche Einflussmöglichkeiten hat die Profession auf den G-BA?
Dieter Best: Das wird bereits getan. Die Gespräche dazu laufen seit gut einem Dreivierteljahr, bevor dieses Gesetz überhaupt kam. Wir werden vertreten durch Psychotherapeuten, die über die KBV dort an diesen Sitzungen teilnehmen. Es gibt einen Unterausschuss „Psychotherapie“, der zur Hälfte mit Krankenkassen und zur anderen Hälfte mit denen von der KBV berufenen Psychotherapeuten besetzt ist. Wir werden da schon gut vertreten.
Frage: Wie stark werden diese Psychotherapeuten-Vertreter gehört? Wie stark ist deren Einfluss?
Dieter Best: Genauso stark wie der der Krankenkassen. Natürlich sind die Positionen sehr weit auseinanderliegend. Es gibt einen Vorschlag der Krankenkassen über die Reform der Richtlinie und es gibt einen Vorschlag der KBV-Seite, und die sind ziemlich weit auseinanderliegend. Von daher wird jetzt gerungen um jedes Modul, um jede Formulierung. Am Ende wird sich zeigen, ob man zu einem Kompromiss kommt. Aber auch der Kompromiss-Rahmen ist abgesteckt. Kommt es zu keinem Kompromiss, dann muss das Plenum des G-BA entscheiden. Bisher ist alles völlig offen, was dabei herauskommen wird. Aber noch steht genau im Gesetz, was umzusetzen ist und wir gehen davon aus, dass sich die Krankenkassen auch daran halten. Diesbezüglich gibt es eine starke Rückenstärkung der Psychotherapeuten im G-BA. Die Basis ist das Gesetz.
Frage: Was müsste sich aus Ihrer Sicht am System ändern?
Dieter Best: Wir müssen die Richtlinien-Psychotherapie, wie sie jetzt besteht, reformieren Wir müssen das Behandlungsspektrum erweitern um Module wie die Sprechstunde. Damit müssten Patienten nicht mehr monatelang auf einen Ersttermin warten. Dann muss die Diagnostik deutlich gestärkt werden, die jetzt an sich und vergütungstechnisch völlig nebensächlich läuft und ganz schlecht bezahlt wird. Die sogar verhindert wird während einer laufenden Psychotherapie. Da ist Diagnostik aufgrund gesetzlicher Bestimmungen im Bundesmantelvertrag in der Psychotherapievereinbarung regelrecht unmöglich. Da sind bestimmte Tests in der gesamten Behandlungszeit nur dreimal erlaubt. Damit wird Therapieverlaufskontrolle absolut unmöglich gemacht. Dann muss ein Angebot für chronisch Kranke neu geschaffen werden. Das ist das, was wir unter Rezidivprophylaxe verstehen. Vor der längeren psychotherapeutischen Behandlung chronisch kranker Menschen steht immer wieder das Antrags- und Gutachterverfahren. Das ist bürokratisch und behindert die langfristige Behandlung. Für diese Patienten brauchen wir erleichterte Bedingungen.
Dann muss die Gruppentherapie gestärkt werden. Auch das Gutachterverfahren muss entbürokratisiert werden. Damit würde Zeit frei für Behandlungen. Ganz wichtig ist auch die Bedarfsplanung. Die ist zwar reformiert worden, aber sie ist noch längst nicht dem tatsächlichen Versorgungsbedarf angepasst. Es wird bundesweit noch immer von Überversorgung in der Psychotherapie gesprochen. Da ist der gesetzliche Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss, dass die Bedarfsplanung bis zum 1. Januar 2017 reformiert wird.
Das ist nur ein grober Umriss dessen, was wir brauchen und was jetzt gesetzliche Verankerung fand.
Frage: Warum werden Psychotherapeuten so stark reglementiert? Mit Ärzten macht man dies nicht. Warum mit Ihnen?
Dieter Best: Weil wir das Konstrukt der Psychotherapie-Richtlinie haben, was wir aber durchaus positiv sehen. Es sichert den gleichen Standard in der Psychotherapie für jeden Patienten in der Bundesrepublik, egal wie er versichert ist. Das ist schon ein hohes Gut. Darin sind Qualitätsstandards festgeschrieben, die jeder Psychotherapeut einhalten muss, der für die gesetzlichen Krankenkassen tätig ist. Dies hat insgesamt zu dem sehr guten Image der Psychotherapie in Deutschland beigetragen. Es stimmt, wir werden sehr stark reglementiert. Das soll nun auch entschlackt und entbürokratisiert werden. Die Regelungen sollen flexibilisiert werden. Aber an dem Konstrukt Psychotherapie-Richtlinie rütteln wir nicht. Keiner will diese abschaffen. Psychotherapie ist immer in Gefahr, als etwas zum Lifestyle gehörendes oder mit unspezifischen Gesprächen verwechselt zu werden. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen. Wir wollen keine Beliebigkeit in der Psychotherapie, im Gegenteil.
Frage: Wie sehen Sie die Zukunft des Berufsstandes generell? Würden Sie einem jungen Menschen in der Berufswahl heute empfehlen Psychotherapeut zu werden?
Dieter Best: Die Faszination an der Psychotherapie hat auch mit zur Entstigmatisierung beigetragen. Wir haben starke Zuwachszahlen bei den Psychotherapeuten in Ausbildung – jährlich etwa 10 Prozent mehr. Wenn sich jetzt jemand entschließen sollte, Psychotherapeut zu werden, der jetzt noch vor dem Studium steht, sollte er sich überlegen, ob der Beruf, wenn die Ausbildung in etwa 10 Jahren beendet ist, wirtschaftlich tragfähig ist. Dass sollten jungen Leute auf jeden Fall mitbedenken, ob auch dieser Punkt ihren Erwartungen entspricht.
Frage: Haben Sie Bedenken, dass der Beruf zukünftig finanziell nicht tragfähig ist?
Dieter Best: Wir wollen natürlich dafür sorgen, dass der, der im Beruf arbeitet auch ordentlich verdient. Aber es könnte immer sein, dass es in der Psychotherapeuten-Arbeitsbiografie zu Arbeitslosigkeit kommt. Ein Studienanfänger sollte sich darüber klar sein, dass seine Arbeitswelt nicht mehr nur in der niedergelassenen Praxis liegt, sondern zum Beispiel auch in Anstellung in der Prävention, in der Rehabilitation. Wir müssen weg von diesem „nur die eigene Praxis kommt für mich in Frage“. Denn durch die Bedarfsplanung werden Praxissitze immer beschränkt sein und die Bedarfsplanung wird nicht abgeschafft werden. Es wird auch in zehn Jahren schwierig sein, eine Praxis zu haben. Also meine Empfehlung ist, nicht nur der Faszination des Berufes des Psychotherapeuten zu erliegen, sondern auch die Wirtschaftlichkeit dessen im Auge zu haben.
Interview: Antje Orgass