Psychisch Kranke müssen zu lange auf einen Therapieplatz warten

Nicole Fischer ist die einzige niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Bad Elster im Vogtland. Ihre jungen Patienten kommen aus dem Umfeld von Hof in Bayern, aus Tschechien, sogar aus Chemnitz und selbst Vogtländer legen lange Fahrtwege zurück, um in ihre Praxis zu kommen. „Bei schwerem selbstverletzenden Verhalten oder Traumastörungen von Kindern, die nicht mehr schulfähig sind und Suizidgedanken äußern, kann ich die Eltern und Kinder nach der Sprechstunde nicht einfach wegschicken und sagen, dass erst in einem halben Jahr ein Therapieplatz frei wird. Dann weiß ich nicht, ob es das Kind noch gibt“, fasst Nicole Fischer die verheerende Versorgungssituation im Vogtlandkreis zusammen. Allein auf die Sprechstunde in ihrer Praxis müssen Patienten ein Vierteljahr warten. „Diese Arbeitssituation belastet mich sehr“, sagt sie. „So verstehe ich meinen Beruf nicht, dass ich die Kinder und Jugendlichen nach der Sprechstunde wegschicken muss, weil ich nicht mit einem Therapieplatz helfen kann.

In den seltensten Fällen bringen Kinder und Jugendliche leichte Erkrankungen mit, überschaut sie ihre Meldungen in der Praxis. Oftmals bedürfe es großen Engagements ihrerseits, um Patienten in dringenden Fällen bei Kollegen – sogar in Zwickau – in Behandlung zu geben.“ Wir machen möglich, was geht“, fasst Fischer zusammen.

„Psychisch kranke Menschen brauchen schnellere ambulante Behandlungen“, betont Andrea Mrazek, die Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer. Eine Wartezeit von fünf bis sechs Monaten vom ersten Kontakt bis zu einer Behandlung hätte für die Betroffenen oft schlimme Folgen. Gerade Patienten aus dem ländlichen Raum sind betroffen. „Werden psychische Erkrankungen nicht zeitnah fachgerecht behandelt, chronifizieren sie. Einzige Lösung ist manchmal die Krankenhauseinweisung, die Patienten erspart werden könnte, wenn mehr ambulante Therapieplätze vorhanden wären“, so Andrea Mrazek weiter, die in Radebeul niedergelassen Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche behandelt.

Zu den Spezifika von Psychotherapie gehöre es, dass Patienten in der Therapie einmal wöchentlich, manchmal auch öfter, zur Behandlung fahren. „Dieses System aber führt dazu, dass Patienten nicht mehr wöchentlich, sondern nur noch in größeren Abständen zur Therapie kommen können, weil der Patientenandrang in den Praxen so groß ist. Die Psychotherapeuten stehen unter dem massivem Druck, Patienten abweisen zu müssen“, beschreibt die OPK-Präsidentin.

Deshalb schlägt die Kammer Alarm: Es fehlt an ambulanter Behandlungskapazität für Psychotherapie in Ostdeutschland. Sie fordert eine kleinteiligere Bedarfsplanung, die gerade ländlichen Regionen zugute käme. Von 200 bis 300 zusätzlichen Sitzen pro Bundesland ist die Rede, die die Situation entschärfen helfe.

Etwa 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland erkranken jährlich an einer psychischen Störung. Das sind bundesweit rund 16 Millionen Menschen pro Jahr. Bei Kindern sind es rund zehn Prozent. Nur jeder Fünfte erhält eine Behandlung, nur jeder Zwanzigste eine ambulante Psychotherapie.
Psychische Erkrankungen sind mittlerweile der zweithäufigste Grund für Krankschreibungen.