Aufklärung zum Thema Achtsamkeit gegenüber der eigenen psychischen Gesundheit ist bis heute kein Lehrplanthema und noch immer fern deutscher Bildungseinrichtungen. Es gäbe noch viel zu tun, um wirkliches Wissen zu psychischen Erkrankungen und das Fallen von Vorurteilen in der Öffentlichkeit zu etablieren und zu erreichen, zog Moderator Dr. Albrecht Kloepfer schnell Bilanz.
Die Talkgäste schilderten ihren Blickwinkel und ihre Erfahrungen aus ihren Gesellschaftsbereichen: aus der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung, aus ökonomischer Sicht, aus persönlicher Lebensgeschichte oder aber von der Sisyphusarbeit, sich zu bekennen und mit dem Thema breit in die deutsche Öffentlichkeit zu gehen. So berichtete Waltraud Rinke, die Vorsitzende der Deutschen DepressionsLiga, von ihrer monatelangen Geheimhaltung ihrer Depressionserkrankung, von unglaublicher Scham, von dieser Krankheit „betroffen“ zu sein, von Versagensängsten und dem Druck, im Arbeitsleben Gesundheit vorzugaukeln. Professor Christfried Tögel, der Ausstellungsmacher, sprach die eigene Profession an: „Warum tun wir Ärzte, Psychiater oder Psychotherapeuten selbst so geheimnisvoll? Patienten haben oftmals gar keine Probleme, öffentlich über ihre Erkrankungen zu sprechen. Warum sind wir nicht auch offensiver damit?“
OPK-Präsidentin Andrea Mrazek skizzierte die neuen Versorgungsoptionen in der Psychotherapie nach der jüngsten Reform. Diesen Punkt aufgreifend, bremste Dr. Thomas Uhlemann vom GKV-Spitzenverband mit seiner persönlichen Einschätzung recht rasch aufkommende Vorfreude. „Der in den vergangenen Jahren zunehmend offenere Umgang mit Fragen psychischer Erkrankung sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Zeiten krisenhafter Zuspitzungen, beispielsweise bei Konjunktureinbrüchen mit sinkenden Beitragseinnahmen, zu gegenläufigen Entwicklungen kommen kann. Wenn alle Leistungen der Krankenkassen in solchen Situationen auf den Prüfstand gestellt werden, könnte auch der Bereich der psychotherapeutischen Leistungen erneut unter einen Legitimationsdruck geraten.“
Teresa Enke, die Witwe des ehemaligen Nationaltorwarts Robert Enke, gab sehr offene Einblicke in ihre Gefühlswelt als nächste Angehörige ihres an Depression erkrankten Mannes. Aber auch von der Kraft und den Mut, den es braucht, um in der Männerwelt des Profifußballs das Thema „unvorstellbarer Leistungsdruck“ anzusprechen, berichtete sie.
Unter den Publikumsgästen befand sich Jeannine Scheibler vom Beruflichen Trainingszentrum Leipzig. Dieses Zentrum unterstützt Menschen, die psychisch erkrankt sind, auf ihrem Weg zurück ins Berufsleben. Sie schilderte klar die Chancen Betroffener nach einer zumeist mehrjährigen Auszeit vom Beruf. Erfreulicherweise stünden Arbeitgeber diesen „Neueinsteigern“ recht aufgeschlossen gegenüber. Die große Aufgabe für Trainingsteilnehmer bestünde vielmehr darin, eine gute Balance zwischen Arbeit und Gesundheit im Leben sowie eine allmähliche Steigerung der Anforderungen zu finden.
In der Publikumsdiskussion beteiligten sich die Zuhörer rege. Sie berichteten von gut laufenden Projekten, wie dem Schulprojekt „Irrsinnig Menschlich“, das wegen des enormen Zuspruchs in Leipzig nun zu einem Projekt auch für Studenten wurde. Aber auch erschreckende Fälle der Ablehnung psychisch erkrankter Menschen kamen zur Sprache. Ein Betroffener berichtete, dass ihm das Blutspende-Institut aufgrund der Kenntnis seiner Erkrankung das Blutspenden verweigerte.
Gewiss, am Ende der Talkrunde blieb eine Ernüchterung bei dem Blick auf Erreichtes in der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Es wird noch sehr viel Mut, Kraft und Bekennen vieler Menschen bedürfen, um psychische Erkrankungen zu entzaubern, zu entwünschen und Menschen zu entängstigen.