Psychotherapie bei Menschen mit Psychosen:OPK startet Fortbildungsreihe ab November 2016

„Wenn Du lange in den Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich hinein.“

Dieser Satz könnte durchaus auch als eine Beschreibung der Entgrenzung gelesen werden, die kennzeichnend ist für psychotisches Erleben. Die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen. Die üblichen, lang gelernten Zusammenhänge gelten nicht mehr. Innere Stimmen werden als von außen kommend wahrgenommen. Äußere Eindrücke bestimmen die Selbstwahrnehmung. „Eine Psychose ist für mich versinken in chaotischen und intensiven Farben und Bewegungen: Psychose ist Treiben auf stürmischer See ohne Kompass und mit unverständlichen Lauten aus dem Funkgerät.“ (Beschreibung einer Betroffenen). Solcherart wahnhaftes Erleben ist das kennzeichnende Element einer Psychose. Vor allem schizophrene und manische Störungen werden mit dem Wahn in Verbindung gebracht. Und ganz im Sinne der Auflösung der für die meisten Menschen üblichen Erlebnis- und Erkenntniswelten beschrieb auch einer der Pioniere der klinischen Beschreibung der schizophrenen Störungen, Eugen Bleuler, Anfang des 20. Jahrhunderts die „Lockerung der Assoziationen“ als den wesentlichen Kern der Erkrankung (Bleuler,1911). Auch Friedrich Nietzsche, der den eingangs zitierten Satz in seinem Werk „Jenseits von Gut und Böse“ niederschrieb, litt an einer paranoiden Schizophrenie.
Bei einer Psychose handelt es sich nicht um eine abgegrenzte Krankheit, sie lässt sich vielmehr als Phänomen beschreiben. Im Bereich der psychischen Störungen leiden vor allem Patienten mit schizophrenen und bipolaren Störungen unter psychotischen Wahnzuständen. Innerhalb eines Jahres erkranken in Deutschland etwa 2,6 % der Bevölkerung an einer psychotischen Störung nach DSM-IV (Wittchen & Jacobi, 2005).

Bei den schizophrenen Störungen weichen Denken, Wahrnehmen und Fühlen in besonders schwerer und auffallender Form vom Erleben der meisten Menschen ab, bis hin zum völligen Realitätsverlust. Die Lebenszeitprävalenz der schizophrenen Erkrankungen wird mit 1 % angegeben. Derzeit leiden in Deutschland etwa 800.000 Menschen an einer schizophrenen Störung, jedes Jahr kommen etwa 15.600 neuerkrankte Menschen hinzu (Welham, et al, 2006). Es handelt sich um äußerst schwerwiegende psychische Erkrankungen. Das wird auch daran deutlich, dass schizophrene Erkrankungen zu denjenigen fünf Erkrankungen gehören, bei denen die meisten Jahre in Behinderung verbracht werden (Murray & Lopez, 1997) und an der Zahl der Kontakte der Betroffenen zum Versorgungssystem. Über 72 % von ihnen haben innerhalb eines Jahres Kontakt zum Versorgungssystem und erhalten „irgendeine“ Intervention. Im Vergleich dazu trifft dies bei depressiven Erkrankungen nur auf 20 % der Betroffenen zu. Bei genauerer Betrachtung erweisen sich diese Zahlen aber nicht als Indikator für eine angemessene Versorgung. Denn es sind dann wiederum nur 10 % der Betroffenen, die „mehr als drei Kontakte/Interventionen“ im Jahr erhalten (Wittchen & Jacobi, 2005).

Behandlung von Psychosen in Deutschland hauptsächlich stationär

Die Behandlung von Patienten mit Psychosen findet in Deutschland aktuell vor allem stationär statt. Patientinnen mit schizophrenen Störungen machen 18 % der Patienten in psychiatrischen Stationen aus. Sie sind damit die größte Gruppe und bleiben mit durchschnittlich 32 Tagen auch besonders lange in stationärer Behandlung. Bei ihrer Behandlung wird dabei in der Mehrzahl alleine auf Psychopharmaka zurückgegriffen. So findet das „PSYCHIATRIE Barometer 2013“ in einer repräsentativen Befragung von psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen, dass Schizophreniepatienten standardmäßig in 96 % der Krankenhäuser medikamentös behandelt werden. Eine Kombination mit Verhaltenstherapie im Einzelsetting wird hingegen nur in 38 % der Krankenhäuser, im Gruppensetting in 47 % der Krankenhäuser regelmäßig durchgeführt. Eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie erhalten die Patienten zusätzlich nur in 12 % der Krankenhäuser.

Dagegen machen diese Patienten im ambulanten mit unter 1 % nur einen Bruchteil der Behandlungsfälle von niedergelassenen Psychotherapeuten aus. Gemessen an der Zahl der existierenden Fälle und der Notwendigkeit einer langfristigen und vor allem auch kontinuierlichen Behandlung ist das zu wenig. Denn Psychotherapie – ambulante wie stationäre – sollte ebenso zu einem umfassenden Behandlungskonzept von psychotischen Störungen gehören. Eine leitliniengerechte Behandlung psychotischer Störungen sieht eine Kombination von Psychopharmaka und Psychotherapie vor. So empfiehlt die aktuelle Leitlinie Schizophrenie des britischen National Institute für Health and Clinical Excellence (NICE), die Einführung von kognitiver Verhaltenstherapie (CBT) und Familieninterventionen für alle Schizophreniepatienten in die Routineversorgung. Auch in Deutschland wird derzeit die S3 Leitlinie Schizophrenie überarbeitet und Kognitive Verhaltenstherapie soll dann nunmehr auch uneingeschränkt für die Behandlung aller Betroffenen mit psychotischen Erkrankungen empfohlen werden. Verschiedene Studien belegen die Wirksamkeit von psychotherapeutischen Interventionen (z.B. Wykes, Steel, Everitt, & Tarrier, 2008; Pharoah, Mari, Rathbone, & Wong, 2006).

Wenn die Patienten aus der stationären Behandlung entlassen werden, findet in den allermeisten Fällen im Anschluss keine ambulante Psychotherapie statt. Die derzeitige Versorgungssituation von an Psychosen erkrankten Menschen in Deutschland ist stark verbesserungswürdig. Dabei fehlt es nicht an modernen Behandlungsmethoden. Ein symptomfreies Leben ist für viele Betroffene möglich, lediglich die Umsetzung in der Praxis ist bisher noch nicht gelungen. Die schwer kranken Patienten werden oft in der ambulanten Versorgung nicht erreicht.

Übergang von stationärer zu ambulanter Behandlung bildet regelrechten Bruch

Die Gründe für diese Situation sind natürlich vielfältig. Als ein wichtiger Grund konnte bisher die Ausgestaltung der Psychotherapie-Richtlinie gelten. Denn diese empfahl Psychotherapie sehr eingeschränkt nur bei „psychischer Begleit- Folge- oder Residualsymptomatik psychotischer Erkrankungen“ und schloss damit eine psychotherapeutische Behandlung in vielen Fällen aus. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) passte diese deshalb dem aktuellen Forschungsstand an. Seit dem 16.10.2014 ist Psychotherapie bei einer Schizophrenie, schizotypen oder wahnhaften Störungen sowie bei einer bipolaren affektiven Störung uneingeschränkt indiziert. Einer guten Versorgung stehen noch weitere Hindernisse entgegen. Denn insgesamt scheint die gesamte Struktur des Versorgungssystems nicht zu den Bedürfnissen der Psychose-Patienten zu passen. Das stark sektorierte System kann zu einem schier unüberwindlichen Hindernis für viele von ihnen werden. Der Übergang von stationärer zu ambulanter Behandlung bildet einen regelrechten Bruch. Eine angemessene und lückenlose Nachsorge ist schwierig zu organisieren. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die spezifischen Belastungen der Patientinnen mit psychotischen Störungen oftmals dergestalt sind, das sie mit einem solchen System besonders schlecht zurechtkommen. Denn das Versorgungssystem psychischer Erkrankungen verlangt von den Patienten (zu) viel Eigeninitiative, Veränderungswille und ein gewisses Aushalten von Übergängen. Die Komm-Struktur der Psychiatrie und das tiefverwurzelte Misstrauen vieler Patienten gegen Beziehungsangebote (von Haebler & Freyberger, 2013) machen es unwahrscheinlich, dass eine Patientin von sich aus und selbständig den für sie optimalen Behandlungspfad durch das Dickicht der Versorgungslandschaft findet. Und wenn einer von ihnen es dann auf die eine oder andere Weise doch schafft sich nach einem Krankenhausaufenthalt in eine ambulante Psychotherapie zu begeben, ruft sein Erscheinen in der Folge bei nicht wenigen Psychotherapeuten ein gewisses Unbehagen hervor.

Denn lange galt die Grundüberzeugung, dass psychotische Störungen generell nicht mit Psychotherapie zu behandeln seien. Und auch wenn dies nun als widerlegt gelten kann, so bahnen sich derlei Erkenntnisse oft nur langsam den Weg in die alltägliche, oft viele Jahre gelebte Praxis. Das betrifft dabei sowohl die niedergelassenen Psychotherapeutinnen, als auch die überweisenden Haus- oder Fachärzte. Und da darüber hinaus ein Großteil der niedergelassenen Psychotherapeutinnen überwiegend Störungen aus den Bereichen F3 und F4 behandeln (diese Diagnosegruppen machen etwa 90% der Behandlungsfälle aus, Kruse & Herzog, 2012), haben sie teilweise wenig Erfahrung mit Patienten mit psychotischen Störungen. Diese kann zu Unsicherheit führen: Wie soll ich diesen Patienten behandeln? Wie gehe ich mit den eigenen Erfahrungen um, die ich in der Behandlung mache? Kann ich das überhaupt? Was tue ich in Krisen? An wen kann ich mich mit meinen Fragen wenden?

OPK startet Fortbildungsreihe

Der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer ist ein Anliegen, die Versorgung von Menschen psychotischen Störungen zu verbessern – im ambulanten wie im stationären Bereich. Wir bieten deshalb eine zweiteilige Fortbildung, um Anregungen zur Behandlung zu geben, Kenntnisse zu erweitern und die Vernetzung untereinander zu ermöglichen. Auch PsychotherapeutInnen, die bislang noch nicht mit diesen Personengruppen arbeiten, werden umfangreich in Behandlungskonzepte eingeführt. In einem ersten Teil sollen Grundkenntnisse über Krankheitsbild, Störungsverlauf und verschiedene Behandlungsansätze vertieft werden und auf die Besonderheiten in der Arbeit mit dieser Patientengruppe eingegangen werden. In einem zweiten Teil werden verfahrensbezogene Behandlungsansätze vertieft, um Erfahrungswissen zu erweitern und Berührungsängste abzubauen.

Psychosenpsychotherapie I: Krankheitsbild und Einführung
04./05.11.2016 in Leipzig
Referent: Prof. Dr. Stefan Klingberg, Psychologischer Psychotherapeut, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen

Psychosenpsychotherapie II a: verhaltenstherapeutische Verfahren
07./08.04.2017, voraussichtlich in Leipzig
Referentinnen: Dr. phil. Anja Lehmann, Psychologische Psychotherapeutin, Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus
Dr. phil. Dipl.-Psych. Friederike Schmidt, Psychologische Psychotherapeutin, MVZ Pinel, Gruppentherapeutin für Menschen mit Psychoseerfahrung (Pinel / DGVT)

Psychosenpsychotherapie II b: psychodynamische Verfahren
28./29.04.2017, voraussichtlich in Leipzig
ReferentInnen: Dr. med. Christiane Montag, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse, Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus
Dr. med. Bernhard Haslinger, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Leiter des Früherkennungszentrums für beginnende psychotische Erkrankungen Berlin-Brandenburg (FeTZ), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Campus Mitte

Ihre Anmeldung dafür ist unter Lena.Weihe@opk-info.de möglich.