Andrea Mrazek – Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer

Andrea Mrazek im MDR Figaro-InterviewZur öffentlichen Diskussion um die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht

Die ärztliche Schweigepflicht ist – darauf verweist die Bundesärztekammer – ein hohes Gut, sowie vielleicht die wichtigste Voraussetzung, damit sich Arzt und Patient vertrauen können. Vor allem Menschen mit psychischen Problemen würden dann vermutlich keine Hilfe mehr suchen. Sie müssten dann mit der ständigen Sorge leben, womöglich den Arbeitsplatz zu verlieren, was bei einer Informationspflicht, wie sie Fischer vorschwebt, der Fall wäre.

Die neu entstandene Diskussion schlägt einen tiefen Graben – gerade für Psychotherapeuten. Und ich möchte darüber nun mit der Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer, Andrea Mrazek, sprechen.

Frau Mrazek, Politiker fordern die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Andrea Mrazek: Ich verstehe dies emotional gesehen. Wir sind alle schockiert. Das ist ein sozial-psychologisches Phänomen. Wir sind mitfühlende Gemeinschaftswesen. Jedoch halte ich es für eine ziemlich abwegige Idee, die Sicherheit zu erhöhen, indem wir die ärztliche Schweigepflicht lockern. Als Politiker hat man es leicht, populistische Forderungen aufzustellen. Andersherum stelle ich mir vor, wie das in der Praxis funktionieren soll. Wo fangen wir an, wo hören wir auf, die Schweigepflicht auszuhöhlen? Es gibt ohnedies Ausnahmen von der Schweigepflicht – auch jetzt schon. Ich denke, diese sind vollständig ausreichend.

Im Gespräch ist die Lockerung der Schweigepflicht für bestimmte Berufsgruppen mit hohem Risikofaktor. Das ist natürlich eine Frage der Sichtweise. Wer schätzt das genau ein, also wer soll das sein? Wo wären da die Grenzen zu ziehen? Oder kann man diese Grenze gar nicht ziehen?

Andrea Mrazek: Dies ist mit zwei, drei Überlegungen gut rauszufinden. Wir können Busfahrer, alle Personen mit Führerschein als erhöht risikobeladen ins Visier nehmen.  Irgendwie stellt sich dann eher die Frage, wer da nicht dazu gehört und nicht für eine größere Gruppe von Menschen gefährlich werden kann. Ich kann diesem Argument nichts abgewinnen, außer das ehrliche Bemühen, dass man jetzt schockiert ist und versucht, diesen Schock zu bewältigen, den das Ereignis bei uns verursacht hat.

Wie ist die Schweigepflicht eigentlich geregelt? Sie haben schon angedeutet, dass in Ausnahmefällen gesprochen werden darf?

Andrea Mrazek:  Es darf gesprochen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen. Das muss der Psychotherapeut dann entscheiden. Es muss eingegriffen werden, um Taten abzuwenden, wenn es um schwerwiegende Straftaten geht, die im Gesetz genannt sind. Das sind die beiden Ausnahmetatbestände, die Möglichkeiten, die jetzt schon da sind.

Im Fall des offenbar an Depressionen erkrankten Copiloten hat ja scheinbar niemand erkannt, wie weit seine suizidale Neigung ging. Welche Möglichkeiten haben Sie als Ärzte und Therapeuten, bei Patienten, die etwas vorspielen? Welche Chancen haben Sie, das herauszufinden, was die verbergen?

Andrea Mrazek: Wir sind darauf angewiesen, dass sich Patienten offenbaren. Da ist es in einem solchen Fall eine ganz schwierige Sache. Da bräuchten Sie keinen Psychologen, sondern eine Glaskugel. In der Regel leiden die Patienten unter den Suizidgedanken. Ob das jetzt in diesem konkreten Fall eine Depression war, die zu einem Suizidversuch führte, ist ja wirklich die Frage. Wenn man normalerweise so schwer depressiv ist, ist das nach außen sichtbar. Da fliegt man nicht mehr fröhlich ein Flugzeug.

Dann steht man morgens wahrscheinlich gar nicht mehr auf?

Andrea Mrazek: Das ist in manchen Fällen die Realität. Es ist schwer zu sagen, was an psychischer Störung hier vorgelegen hat. Prinzipiell wird Suizidalität am Verhalten festgestellt und natürlich, wenn ich jemanden persönlich spreche, sagen das Patienten nicht sofort. Ich frage dann als Therapeutin nach. Aber wir sind stark auf die Auskunftswilligkeit angewiesen und deshalb braucht es die Schweigepflicht.

Die FAZ stellt in ihrer Ausgabe vom 13. April die These auf, dass nicht Depression allein der Grund für den Suizid gewesen sein könne, sondern wir es mit der Tat eines Narzissten zu tun haben. Bringt diese These, Frau Mrazek, etwas für die Diskussion zur Lockerung der Schweigepflicht?

Andrea Mrazek: Das bringt auch nichts. Der Begriff Narzissmus hat eine fachliche und eine umgangssprachliche Bedeutung. So weiß man schon wieder nicht, wovon hier die Rede ist. Ich ordne das unter dem Versuch ein, um aus einem unfassbaren, schockierenden und völlig hilflos machenden Ereignis herauszukommen. Es hilft aber nicht wirklich weiter.

Also keine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht, sagt die Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer.