Sabine Ahrens-Eipper und Katrin Nelius (v.l.n.r.) haben ein Pilotprojekt mit der OPK aufgelegt.

Comics zur Identifizierung traumatisierter FlüchtlingskinderHallenser Psychotherapeutinnen entwickeln Materialien, deren Einsatz den Kindern außerdem hilft, das Erlebte zu verarbeiten

Wenn Trolle auf Seefahrerreise zur Insel des Sicheren Ortes, der Stärke oder zur Insel der Angst aufbrechen, dann ist es immer auch ein Aufbruch zu den schmerzenden Stellen, die Kinder nach traumatisierenden Erlebnissen zurückbehalten. „Wir nutzen die den Kindern vertraute Welt der Phantasie, um uns gemeinsam über Geschichten gezielt belastenden Erlebnissen zu nähern“, erzählt Dr. Sabine Ahrens-Eipper, eine der Initiatorinnen des Projektes. „Die Kinder identifizieren sich mit bestimmten Figuren, erzählen damit viel leichter über ihre Erfahrungen, über ihre Ängste und Unsicherheiten.“

Katrin Nelius und Dr. Sabine Ahrens-Eipper sind alles andere als Neulinge auf diesem Gebiet. 2008 riefen sie „Trauma First“, ein Behandlungsprogramm für Kinder, Jugendliche und junge Frauen mit Traumafolgestörungen in ihrer Praxis ins Leben. Diese traumaspezifische psychotherapeutische Behandlung kann in Halle ganz ohne Wartezeiten in Anspruch genommen werden und ist wissenschaftlich evaluiert. Dazu veröffentlichten sie zahlreiche Therapiemanuale, im vergangenen Jahr erst „Der große Schreck“, eine Hörspiel-CD zur Psychoedukation von traumatisierten Kindern im Vor- und Grundschulalter.

Auf diesen Materialien baut das Projekt zum psychologischen Screening und zur psychischen Entlastung von Flüchtlingskindern auf. In ihnen soll den Kindern erklärt werden, was traumatisierende Ereignisse sind, welche Traumafolgen es gibt, welche Reaktionen durchaus normal sind und die Kinder bekommen erste Strategien zur Stabilisierung an die Hand. „Auf den ersten Blick erscheint es einfach zu sein, die vorhandenen Materialien für Flüchtlingskinder zu adaptieren“, berichtet Katrin Nelius. „Auf den zweiten Blick ist es eine große Herausforderung, sehr belastende Erlebnisse für Kinder anderer Kulturen so in Worte zu fassen, dass es sie nicht erneut schockiert.“ Dazu haben sich beide Therapeutinnen für das Projekt Kulturwissenschaftler ins Boot geholt, die länderspezifisch prüfen, wie Geschichten kulturgemäß erzählt werden und wie agierenden Figuren aussehen sollten.

„Nichts, was einen Schwanz haben darf oder rote Haare hat, kommt uns danach als Figuren in die Geschichten“, lacht Ahrens-Eipper. „Das ist absolut negativ besetzt.“

Mit Illustratorin Kit Karausche entstanden erste Entwürfe des „Vertreibungsschreckes“, den beide Macherinnen für Flüchtlingskinder erfanden.

Die Materialien werden als ersten Schritt für Kinder aus Syrien, Albanien, dem Kosovo, Afghanistan und dem Irak konzipiert. „Wir werden außerdem Kurzfilme entwickeln und ein kostenfreies Internetangebot zur Verfügung stellen, das sozialpädagogische, pädagogische und psychologische Begleiter mit den Kindern anschauen und durcharbeiten können“, berichtet Nelius zum Umfang des Projektes.

Der Wissenschaftliche Hintergrund zum Projekt stützt sich auf eine Studie mit 106 Flüchtlingskindern, die belegt, dass annährend alle Kinder und Jugendliche in ihrem Leben mit potentiell traumatischen Ereignissen konfrontiert waren. 41,3 Prozent der Kinder und Jugendlichen gaben an, körperliche Angriffe mitangesehen zu haben, 37,5 Prozent hatten Kriegsereignisse miterlebt, 25 Prozent hatten Leichen gesehen. In der Folge dieser Ereignisse litten 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD).

Gegenwärtig geht die Evaluierung der Materialien in die heiße Phase. Diese wird durch die TU Dresden, speziell unter Leitung von Frau Professor Dr. Katja Beesdo-Baum, sichergestellt.   Die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer (OPK) kommt zum Teil der Bewerbung um Fördergelder sowie der politischen Platzierung des Projektes ins Spiel. Wie OPK-Präsidentin Andrea Mrazek versichert, ist das Projekt ein Schatz, innovativ, deutschlandweit für einen niederschwelligen Einsatz gedacht und wird zum richtigen Zeitpunkt aufgelegt. „Wir werden alles daran setzen, das Projekt in die Realität umzusetzen. Wir stoßen bisher auf großes politisches Interesse. Aber diesem verbalen Interesse müssen nun auch die Euros folgen, damit die Materialien produziert werden können.“

Die Identifizierung der Risikokinder sei durch den Einsatz der Materialien präzise, rasch und flächendeckend möglich. Zudem sind für deren Anwendung keine Psychotherapeuten notwendig. Auffälligkeiten im Verhalten und der Behandlungsbedarf von Kindern und Jugendlichen werden dadurch erkennbar aufgezeigt und können einer fachlichen Abklärung zugeführt werden. „Das Hauptaugenmerk liegt jedoch in der Information und Aufklärung der Kinder und deren Eltern zu ganz normalen Reaktionen nach traumatischen Erlebnissen. Das Projekt ist ein guter Weg, um laienhafter Diagnostik von Traumatisierungen landauf, landab entgegenzuwirken“, so Andrea Mrazek abschließend.

Antje Orgass
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit