Minderjährige Geflüchtete in der psychotherapeutischen Praxis: Workshop zum 2. KJP-SymposiumVon guten Beispielen in Vernetzung und Logistik lernen, Hilfsangebote müssen alltagsnahe Wege zu Kindern und Jugendlichen finden

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Silvia Schriefers

Frage: Wo sehen Sie ganz klar Probleme und Barrieren in der psychotherapeutischen Praxis in der Behandlung und Versorgung von Flüchtlingskindern?

Silvia Schriefers: Die größte Barriere sehe ich im Zugang in die psychotherapeutische Praxis. Es gibt einen Fachkräftemangel in den ostdeutschen Bundesländern. In ganz Deutschland warten Patienten sehr lange auf einen Therapieplatz beim Psychotherapeuten. Diese Situation trifft Kinder und Jugendliche als Geflüchtete mit besonderer Härte, weil es Vorbehalte gibt und Therapeuten meinen, nicht genügend Expertise zu haben. Dann gibt es außerdem die Sprachbarriere. Dolmetscher sind keine GKV-Leistungen, Therapeuten stellen sich die Frage, wie kann ich das überhaupt abrechnen? Die Beantragung von Dolmetscherleistungen kann sehr langwierig sein. Dann werden die Anträge zum Teil abgelehnt. Das ganze Verfahren ist zum Teil sehr sperrig, so dass es sehr schwer gemacht wird, Kinder und Jugendliche Geflüchtete als Patienten aufzunehmen. In den neuen Bundesländern ist es zudem noch ein relativ neues Thema. Seit dem neuen Gesetzgebungsverfahren werden die unbegleiteten Minderjährigen umverteilt auf Länder und Kommunen, das heißt, Landkreise und Kommunen, die vorher noch nicht viele unbegleitete Kinder und Jugendliche Flüchtlinge hatten, werden auf einmal damit konfrontiert und müssen Versorgungsangebote zur Verfügung stellen. Auch Psychotherapeuten müssen sich darauf erst einstellen.

Frage: Rückmeldungen aus den Praxen in Ostdeutschland zeigen, dass Kinder und Jugendliche als Geflüchtete erst sehr zaghaft in den Praxen in Erscheinung treten. Wird sich dies recht bald ändern?

Silvia Schriefers: Psychotherapie hat nicht in allen Ländern diesen Stellenwert wie in Deutschland als verbreitetes Angebot der Gesundheitsversorgung. Für viele ist es ein fremdes Setting, was Kinder und Jugendliche nicht von sich aus aufsuchen, sondern nur mit Unterstützung von Erwachsenen und Bezugspersonen. Therapeuten, die Hilfe anbieten, müssten diesen Bezugspersonen erstmal bekannt sein, um auch angefragt zu werden. Es gilt die langläufige Meinung, dass man eh keinen Therapieplatz erhält, dass es hoffnungslos ist. Der Weg in die Praxis ist für Betroffene sehr schwierig. Wenn man keine Hilfe auf dem Weg zur Therapie hat, ist es sehr schwer, dort anzukommen.

In Berlin sind 18 Ermächtigungen zur Behandlung von Flüchtlingen ausgesprochen wurden. Jetzt warten viele dieser 18 Ermächtigten auf Klienten und keiner kommt, weil es einfach keine koordinierende Struktur gibt, die zum Beispiel die Namen der Therapeuten veröffentlicht, die dafür sorgt, dass Hilfe bekannt wird in den Aufnahmeeinrichtungen, in den betreuten Wohneinrichtungen der Kinder und Jugendlichen. Da ist es für den einzelnen niedergelassenen Psychotherapeuten schwierig in diesen Kreisen bekannt zu werden. Das geht nur über Eigeninitiative. Dann stellen sich Therapeuten wieder die Frage: Habe ich das nötig und nicht schon genug zu tun? Da muss man sehr engagiert dafür sein.

Frage: Haben Sie für die Koordinierungsfragen eine Lösungsmöglichkeit im Blick? Für diese Netzwerkarbeit ist im laufenden Geschäft wenig bis keine Zeit.

Silvia Schriefers: Wünschenswert wäre natürlich eine politische Lösung, im Sinne einer zentral koordinierenden Struktur auf Länderebene. So lange diese nicht in der Praxis installiert ist, müssen auf Eigeninitiative Netzwerke aufgebaut werden. Ohne Netzwerkarbeit ist die Versorgung von Geflüchteten schwierig, das zeigt die langjährige Praxis der Psychosozialen Zentren, die eng in Netzwerken mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten, die DolmetscherInnepools aufgebaut haben, ebenso wie Intervisions- und Supervisionsgruppen sowie die Bundesweite Vernetzung der Zentren in Form der BAfF, um politisch wirksamer sein zu können.

Gemeinsam besser mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen umgehen zu können, ist der Kernpunkt.

Die Frage, ob man das als Psychotherapeut wirklich machen möchte, ist, glaube ich, gar nicht so an die Patientengruppe der Flüchtlinge gebunden, sondern eine generelle. Wie sehr möchte ich mich für meine Patienten engagieren? Da, wo der Versorgungsbedarf möglicherweise über das Normale hinausgeht, wie auch bei Borderline-Patienten oder Schizophrenen, sind die Hürden in die Versorgung hinein und direkt in der Versorgung oftmals hoch. Diesen gesteigerten Versorgungsumfang bestimmter Patientengruppen auch anzunehmen, sehe ich als Voraussetzung des Berufes.

Frage: Ist die Traumatisierungsquote dieser Kinder und Jugendlichen wirklich so hoch? Brauchen wir Screeningverfahren für all diese Kinder und Jugendlichen?

Silvia Schriefers: Da streiten sich seit Monaten die Geister: Wir stehen Screeningverfahren sehr kritisch gegenüber. Ein geeignetes Screeningverfahren müsste entsprechend kultursensibel sein. Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass traumatische Erfahrungen völlig unterschiedlich verarbeitet werden, sich in unterschiedlichen Symptome zeigen, Menschen unterschiedliche Dinge brauchen. Ein Screeningverfahren sollte einfach und schnell handhabbar sein und er müsste ausreichend spezifisch ist. Wenn ein Screeningverfahren aufzeigt, dass 95 Prozent der Personen über die Maße belastet sind, was sagt es dann noch aus? Wir haben da große Zweifel, ob ein Screeningverfahren das leisten kann. Und was folgt daraus weiter? Ist die Diagnostik und Leistungsgewährung danach gesichert? Es gibt dazu in Deutschland keinerlei Strukturen und Konzepte. Screening ohne die anderen Maßnahmen würde immer nur ins Leere laufen. Diese Fokussierung auf Screenings finden wir sehr fragwürdig. Es bräuchte viel mehr geschulte Mitarbeiter in den Heimen und einen ausreichenden Personalschlüssel, die sensibel dafür wären, im Alltag sehr belastete Personen zu erkennen und denen geeignete Hilfsangebote und Netzwerke bekannt sind und diese dann vermitteln. Das wäre der viel alltagsnähere Weg.

Frage: Zur Arbeit mit Dolmetschern: Viele sehr emotionale Dinge schwingen in der Sprache und der Formulierung mit. Wenn Dolmetscher als Vermittler in Diagnostik und Behandlung mitarbeiten, scheint dies erstmal erschwerend. Welche Hinweise haben Sie für die Arbeit mit Dolmetschern?

Silvia Schriefers: Psychotherapie mit Dolmetschern ist genauso wirkungsvoll. Dazu gibt es Studien und es gibt auch Standards, wie man mit Dolmetschern sehr gut arbeiten kann. Was dabei gar nicht geht, ist mit dauernd wechselnden Dolmetschern zu arbeiten. Patient, Therapeut und Dolmetscher bilden eine Triade. Man kann nicht ständig einen Baustein der Triade wechseln. Der Dolmetscher ist keine Sprachmaschine, sondern ein Mensch, der die Dynamik mitbeeinflusst. Das ist wichtig für den Vertrauensaufbau, dass dies eine Beständigkeit hat. Da gibt es klare Kompetenzen, die man lernen kann, z.B. wie die Sitzordnung im Raum ist, welche Rolle genau der Dolmetscher hat: ist er Sprach- und Kulturmittler? Darf der Dolmetscher persönliche Kontakte zum Klienten haben und weiteres? Das wird Teil des Workshops sein, den wir in Potsdam anbieten. Wir möchten u.a. bewährte Standards vorstellen. Wenn die Teilnehmer dies wünschen, können wir da detaillierter darauf eingehen.

Frage: Kann ein Psychotherapeut fordern mit einem bestimmten Dolmetscher zusammen zu arbeiten?

Silvia Schriefers: Ja, der Therapeut sucht sich ja sowieso seinen Dolmetscher, weil diese nicht automatisch zur Verfügung gestellt werden. Über Dolmetscherdienste können konkrete Angaben gemacht werden, was für ein Dolmetscher gesucht wird und was der können sollte. Und mit diesem Dolmetscher vereinbart man dann, dass man regelmäßig zusammen arbeiten möchte. Und das muss man auch so fordern.

Frage: Man lernt besonders gut durch positive Bespiele. Werden Sie solche guten Beispiele zum Abschauen in Struktur und Zusammensetzung in Ihrem Workshop vorstellen?

Silvia Schriefers: Ja, ich würde gern Ansätze vorstellen, wie man gut in Netzwerken zusammenarbeiten kann. Dies ist ein gangbarer Weg, gut mit komplexen Schwierigkeiten umzugehen, mit denen man konfrontiert ist. Ich möchte zeigen, welche Arten von Strukturen es braucht, wer die Netzwerkpartner sind oder was das Netzwerk für Funktionen haben kann.