Auf den Hund gekommenKinder- und Jugendlichenpsychotherapie mit Therapiehund eröffnet zusätzliche psychotherapeutische Möglichkeiten

Das erste Zusammentreffen von Lena und Oskar verlief eher auf Tuchfühlung, „sehr kontrolliert nach dem Motto: ich sehe dich und du siehst mich. Mehr erst einmal nicht. Und bei Lena war es gleich Liebe auf den ersten Blick“, erinnert sich Schwenski.

Oskar ist ein ausgebildeter Therapiebegleithund, ein Labradorrüde, und seit zwei Jahren mit in der Praxis dabei. „Er ist der beste Tür- und Seelenöffner zu den Kindern und Jugendlichen“, weiß die Therapeutin. Zum ersten Mal kämen viele zögerlich, fast ängstlich in die Praxis.  Oskar sei dann meistens mit zur Stelle, setzt sich neben die Kinder, lässt sich streicheln, fordert zum Mitmachen auf. „Dies ist ein ganz anderes Willkommen sein, als ich es mit Worten und Gesten ausdrücken könnte“. Anja Schwenski ist sehr oft erstaunt, mit welcher Schnelligkeit Oskar Kinder und Jugendliche in der Therapie regelrecht aufblühen lässt.

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Ein starkes Team: Therapeutin Anja Schwenski und Oskar.

Die Wirkfaktoren der sogenannten „tiergestützten Intervention“ sind Ziel einer Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen im therapeutischen Bereich. Darin kristallisiert sich heraus, dass der Hund ein besonderes Mittel zur Therapie ist. Er ist ein lebendiges, fühlendes Wesen, das die gesamte Therapiesituation verändert und triangulierende Prozesse fördert. „Aus dem Dialog wird in der Therapiestunde ein Trialog“, sagt Anja Schwenski. „In der Interaktion entstehen mehrere Beziehungen:  zwischen mir und dem Kind, zwischen Kind und Hund, zwischen Hund und mir. Und manchmal kann ich einfach den Dialog zwischen Kind und Hund beobachten und aus dem Verhalten des Hundes dabei lesen.“ Der Hund wird zur Projektionsfläche in der Therapie.  Der Therapeut ist in der Lage, alles mit dem Patienten zu besprechen, ohne dass der Hund dies versteht und seinerseits auf das Besprochene reagiert oder vor dieser verbalen Projektion geschützt werden muss.

Wenn Anja Schwenski von ihrer therapeutischen Arbeit mit Hilfe des Hundes erzählt, dann sind es Situationen wie diese: „Wenn ein Kind mitten im Gespräch mit mir plötzlich sehr traurig oder unruhig wird, dann nimmt das der Hund instinktiv auf und reagiert. Über das Verhalten des Hundes kann ich diese Veränderung ansprechen, so zum Beispiel: Erst saß Oskar die ganze Zeit dort drüben und jetzt kommt er zu dir und legt sich an deine Füße. Ist gerade etwas sehr schwierig für dich?“.

Neben der Ausbildung von Oskar hat die 36-Jährige an einem zertifizierten Institut in Schweinfurt eine theoretische Ausbildung zur Körpersprache des Hundes sowie zu den rechtlichen Grundlagen in der Arbeit mit einem Therapiehund  absolviert. Das „Lesen-Lernen“ des Hundes, seiner Signale und Bedürfnisse, standen hier im Zentrum der Ausbildung. Zum richtigen Mensch-Hund-Team, das sich aufeinander bezieht, aufeinander achtet, und miteinander kommuniziert, wurden beide in einer praktischen Schulung in Leipzig. Um diese Symbiose gesund und für die Kinder und Jugendlichen nutzbringend zu erhalten, liegt der Fokus der Therapeutin auch auf dem Wohlergehen des Hundes. „Oskar ist keine Maschine. Er soll Hund bleiben dürfen, sich frei im Therapieraum bewegen können und Freude am Tun hier in der Praxis haben. Wenn ich wahrnehme, dass er unruhig und gestresst ist, nehme ich ihn aus der Situation.“ Zudem ist Oskar nie den ganzen Tag in der Praxis. Die Therapeutin wählt im Vorfeld genau die Patienten aus. Gerade in der Behandlung von depressiven Kindern und Jugendlichen sei sein Einsatz ein großer Motivationsfaktor und erfülle die Therapiestunden mit viel Lebendigkeit. Ängste, Trauer, Wünsche sind für die Kinder und Jugendlichen über die Interpretation des Verhaltens des Hundes zum Beispiel besser in Worte zu fassen. „Ganz oft komme ich ins Arbeiten mit den Patienten, wenn ich ihnen eine Situation mit dem Hund beschreibe, in der er zum Beispiel sichtbar ängstlich war und sie bitte, sich in diese Situation zu versetzen. Der Hund ist ein unverfängliches Thema, der mich zu ihrem Problem führt, ohne es direkt anzusprechen. Und wenn Kinder sich schwertun, sich zu artikulieren, sagt mir ihre Art des Umgangs mit dem Hund ganz viel.“

Auch mit Lena hat Anja Schwenski so gute Erfolge erzielt. Innere Stärke und Klarheit zu entwickeln, hat sie sehr rasch über Oskar geschafft. Lena sollte ihm in Eigenregie gewisse Befehle beibringen. „Das klappt nicht sofort, weil Oskar lieber spielen oder gestreichelt werden will. Dazu bedurfte es einer Bestimmtheit, inneren Stärke, die sich Lena erst erarbeiten musste.“ Aber die Antwort und das Erfolgserlebnis folgten auf den Fuß. „Für den Erfolg, den Lena mit Oskar in einer Therapiestunde konzentrierten Arbeitens geschafft haben, hätte ich mit dem Manual Selbstwert wahrscheinlich zehn Therapiestunden gebraucht“, erinnert sich die Therapeutin.

Die Kinderpsychotherapie mit einem Hund kann die Motivation der Patienten für die Psychotherapie verbessern, blockierende und hemmende Gefühle schneller abbauen und die Lebendigkeit in der Therapie erhöhen. Der Hund als „Dritter“ im Raum eröffnet zusätzliche psychotherapeutische Möglichkeiten. Über die Interaktion von Patient und Hund können Themen und Probleme artikuliert, aufgegriffen und mentalisiert werden. Auch physiologische Vorgänge, wie zum Beispiel, dass sich beim Streicheln des Hundes der Blutdruck senkt und sich Anspannung löst, sind wissenschaftlich belegt. Diesem Artikel liegt als Ausgangspunkt zugrunde, dass der Therapiehund fachlich fundiert und gezielt vom Therapeuten eingesetzt wird.

Das persönliche Fazit von Anja Schwenski in ihrer Arbeit mit Oskar formuliert sie so: „Der Hund ist allein für mich ein unheimlicher Gewinn, meine Psychohygiene. Vor ihm habe ich keine Mittagspausen gemacht. Heute gehen wir jeden Mittag spazieren. Ich plane meine Zeit anders. In der eigenen Praxis ist man schon sehr Eigenbrödler und hört den ganzen Tag schwierige Sachen. Die zehn Minuten zwischen den Patienten tun mir mit Oskar gut. Ich streichle ihn und erzähle ihm meine Empfindungen und Gedanken zu den Patienten. So habe ich das Gefühl, damit nicht ganz allein zu sein.“
*Name der Patientin wurde geändert.

Antje Orgass, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit